Aufgedirndlt
Dings vom RTL, das geht zack zack zack.«
»Ja mei«, entgegnete Nonnenmacher verächtlich, »das könnt’ ich auch. Letztlich ist das reine Erfahrungssache.« Er holte tief Luft. »Wenn ein Mann einmal ein gewisses Alter erreicht hat, dann hat er auch Erfahrung, frauenmäßig.« Gönnerhaft klopfte er dem jungen Kollegen auf die Schulter, begann im selben Moment aber zu schwitzen, weil Anne, ohne dass er es bemerkt hatte, zu ihm und Kastner gestoßen war und er unsicher war, ob sie ihr Gespräch belauscht hatte. Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit durch etwas anderes beansprucht. Ein Zug von Demonstranten kam die Straße von der Stadt zum Hotel herauf. Durchwegs Frauen, wie Nonnenmacher, Kastner und Anne auf einen Blick feststellten.
»Aha, noch mehr Bewerberinnen«, konstatierte Kastner.
»Das glaub’ ich nicht, die sind doch alle ü-dreißig«, stellte Nonnenmacher fachmännisch fest, wobei er die Stimme erheben musste. Die Damen, die die für das Casting erforderliche Altersgrenze tatsächlich schon überschritten zu haben schienen, veranstalteten nämlich einen Höllenlärm. Sie schlugen auf Blechdosen und Trommeln ein, schwangen Rasseln und Ratschen, wie sie am Karfreitag in vielen bayerischen Dörfern anstatt der Kirchenglocken verwendet wurden, und schmetterten Lieder, so kraftvoll und lautstark, dass das ganze Tal davon erzitterte.
Anne dachte zuerst, dass es sich um Gegnerinnen des Harems-Castings handelte, denn auf einem Transparent, das die Demonstrantinnen hochhielten, stand:
Schluss mit Diskriminierung!
Wir fordern Gleichberechtigung!
Aber dann verstand Anne den Text des Liedes, das die stolzen Bayerinnen sangen – und war mehr als erstaunt. Die etwa zwanzig Demonstrantinnen, die allesamt sauber aufgedirndlt waren, sangen passend zur Melodie eines berühmten Bierzeltliedes so wild wie fröhlich:
»Wir sind nicht zwanzig, wir sind nicht reich,
wir wollen trotzdem einen Scheich.
Der scheißt uns zu mit seinem Geld
und kauft uns gleich die ganze Welt.
Lieber Raschid bin Suhail,
wir finden, du hast ganz schön Style.
Deine Millionen wollen wir,
dann sprech’ma Arabisch sofort hier.
Sei gerecht und cast uns auch,
dann pinseln wir dir täglich deinen Bauch.
Die Sprach’ der Lieb’ ist international
und das Alter beim Sex doch ganz egal.«
Anne musste angesichts des Textes sehr lachen. Der Gesichtsausdruck ihres Chefs dagegen verfinsterte sich schlagartig. Unter den Demonstrantinnen hatte er nämlich seine Cousine Martha entdeckt. Schnell ging er zu ihr hin und packte sie energisch am Arm.
»Was machst denn du da?«, fragte er die kräftige Brünette, wobei er gehörig gegen den Lärm anschreien musste. Anstatt zu antworten, sang Martha ihm gemeinsam mit ihren Kumpaninnen lachend ins Gesicht »Sei gerecht und cast uns auch …«.
»Ja, sag mal, bist zu verrückt geworden, Martha?«, herrschte Nonnenmacher seine Cousine an.
»Die Sprach’ der Lieb’ …«
»He!«, herrschte Nonnenmacher sie an. »Aufhören!«
»… ist international …«
Nonnenmacher versuchte, Martha aus dem Getümmel zu ziehen, doch die hinter ihr laufenden Frauen hauten dem uniformierten Dienststellenleiter mit Luftballons auf den Kopf, schubsten ihn und tröteten ihm ins Ohr.
»Ja Sakra«, schimpfte der Inspektionschef und ließ schließlich von Martha ab.
»… und das Alter beim Sex doch ganz egal.«
Hastig suchte Nonnenmacher nach seiner Polizeitrillerpfeife, die er schon seit Jahren nicht mehr verwendet hatte, und zog sie aus der Hosentasche. Ein gellender Pfiff erklang, die Sängerinnen verstummten umgehend.
»Ruhe!«, bellte Nonnenmacher in die plötzlich entstandene Stille hinein. »Sofort ist hier Ruhe, Kruzefix!« Dann pfiff er noch einmal.
Und auch Hoteldirektor Christian Geigelstein sowie der Assistent und Cousin des Emirs, Aladdin Bassam bin Suhail, schienen beunruhigt zu sein, denn sie standen vor dem Rezeptionsgebäude und diskutierten aufgeregt miteinander.
»Ja seid’s ihr denn wahnsinnig?«, blaffte Nonnenmacher die Demonstrantinnen an.
»Warum?«, fragte eine der beiden Frauen, die das Transparent trugen, und lachte kühn. »Mir fordern doch bloß Gleichberechtigung. Mir wollen auch beim Casting mitmachen.«
»Aber ihr seid’s doch praktisch alle verheiratet«, wandte Nonnenmacher ein.
»Ja und!«, kiekste eine andere. »Der Scheich ist doch auch verheiratet!«
»Aber eure Männer …«, schrie der Dienststellenleiter ratlos. »Martha, was sagt der Hans-Peter, wenn er
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