Aufgedirndlt
Cannabis im Blut hast, musst du Sonderurlaub beantragen, ganz ehrlich.«
Sepp Kastner räumte kleinmütig das Feld. Statt zum Drogentest ging er allerdings erst einmal in sein und Anne Loops Dienstzimmer, goss sich einen Filterkaffee mit extra viel Süßstoff ein und ließ sich auf den Bürostuhl fallen.
Dass Nonnenmacher nicht nur wegen Kastners Eskapaden so erzürnt war, sondern auch wegen Vorkommnissen in seinem privaten Umfeld, konnte Kastner ja nicht wissen.
Just zu dem Zeitpunkt nämlich, als Kastner am Lagerfeuer nach hinten ins Gras gesunken war und sich sofort die Lippen seiner zwei Nachbarinnen im Rahmen einer relativ frei interpretierten Mund-zu-Mund-Beatmung auf die seinen gesenkt hatten, hatte Helga Nonnenmacher ihren Mann zur Rede gestellt: Ob es stimme, dass er sich am Stammtisch für die Vielweiberei ausgesprochen habe? Ob er sie denn überhaupt noch liebe?
Auf die erste Frage hatte Nonnenmacher eher ausweichend geantwortet, war er doch der Auffassung, dass es durchaus Vorteile haben konnte, mit mehreren Frauen verheiratet zu sein – auch für die betroffenen Frauen. Aber wie sollte er die Komplexität dieses Phänomens, das womöglich von einem weiblichen Gehirn ohnehin nicht vollkommen durchblickt werden konnte, jetzt seiner Gattin erläutern, die sich offensichtlich in einem Zustand äußerster Streitlust befand?
Die zweite Frage hatte er von Herzen und ohne Zögern mit einem deutlichen »Ja« beantwortet. Denn so eine wie die Helga, das war ihm klar, würde er selbst als Scheich nicht noch einmal finden. Sollte es in Bayern also mit der Vielweiberei vorerst nichts werden, würde er mit seiner Helga auch weiterhin sehr gut auskommen können.
Allerdings hatte seine zutiefst glaubwürdige Liebeserklärung dazu geführt, dass Helga den sofortigen Vollzug des Geschlechtsakts eingefordert hatte, was Nonnenmacher an jedem anderen Tag in einen Zustand höchster Freude versetzt hätte. Aber ausgerechnet heute Abend hatte er sich zwei Halbe mehr genehmigt als sonst, insgesamt sechs Bier waren es, also drei Liter, was in der Nacht zu gewissen Komplikationen im ehelichen Schlafzimmer führte.
Der Besuch des Scheichs und die Ankunft der Hippiemädchen hatten im Tal für so viel Aufregung gesorgt, dass das wichtigste Ereignis des Jahres beinahe ein wenig in den Hintergrund gerückt war. Aber natürlich sollte auch in diesem Sommer das berühmteste Seefest der Republik stattfinden. Es wurde nur an einem einzigen Tag im Jahr gefeiert und verwandelte die Gassen und Straßen der Stadt in einen Rummelplatz der Gefühle, einen Tanzboden des Glücks. An diesem Tag ritten auch Menschen, die sonst über Selbst- oder Gattenmord nachgrübelten, elegant wie Surfweltmeister auf einer Woge von Genuss, Liebe und Frohsinn. Bereits am Vormittag bauten die heimischen Wirtsleute Tische und Bänke, Stände und mobile Küchen, Bierzapfanlagen und Musikbühnen auf. Sogar auf dem Wasser lag schon bald ein hölzernes Floß für den Auftritt der Trachtentanzgruppe bereit. Die Musiker der Blaskapellen und die Alphornbläser kontrollierten und polierten ihre Instrumente. Die einheimischen Mädchen und Frauen gingen noch schnell zum Friseur und bügelten die Falten aus ihren Dirndln, die Mannsbilder schlüpften in ihre zum Teil eigens für den Anlass gekauften maßgeschneiderten Trachtenjoppen und Lederhosen. Dafür konnte man schon ein kleines Vermögen ausgeben, aber das Geld verlor wegen der dauernden Krisen sowieso jeden Tag an Wert, und eine handgefertigte Hose aus Hirschleder galt als lebenslange Geldanlage, ähnlich wertstabil wie Gold, aber mit dem Vorteil, dass man mit ihr größere Teile des Körpers bedecken konnte als nur ein Stück von Hals, Fuß oder Finger.
Das Seefest genoss im Tal einen ähnlichen Stellenwert wie in München das Oktoberfest. Für die Polizeitruppe um Anne Loop, Kurt Nonnenmacher und Sepp Kastner stellte der mit dem traditionellen Fest verbundene Ansturm auswärtiger Gäste eine gewaltige Herausforderung dar. Bis aus Kiel, Rostock, Hamburg und sogar Amerika und China reisten dafür die Menschen an. Und die Polizisten mussten für die Sicherheit sorgen, die wichtigsten Straßen der Stadt sperren und sinnvolle Umleitungen planen, Parkplätze ausweisen, fliegende Händler ohne Genehmigung festnehmen et cetera. Für die Gewährleistung des reibungslosen Ablaufs auch auf dem Wasser besaß die Polizeidienststelle sogar ein eigenes Motorboot, auf das man verständlicherweise mächtig stolz
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