Aufgedirndlt
Tatsache gelitten hat, dass er den Weg vom Schiff zur italienischen Insel Lampedusa schwimmen musste.«
»Ja, da kann ich auch nix machen«, meinte Kastner und zuckte mit den Schultern. »Aber lesen können muss man so einen Führerschein schon, sonst bringt der nix. Außerdem ist eh fraglich, ob ein libyscher Führerschein hier in Bayern gilt. Können Sie, Herr Mohammed, nicht die Ausstellung eines neuen Dokuments beantragen, zu Hause bei Ihnen?«
Mohammed schüttelte heftig den Kopf. »Zu Hause Kanone bumm bumm.« Dann spreizten sich die Finger seiner rechten Hand zu einer imaginären Pistole, die er sich an die Schläfe hielt, und er machte noch einmal »bumm«.
Kastner sah den Nordafrikaner fasziniert an. Er hatte hier am See schon viele fremde Menschen kennengelernt, aber so ein Exemplar wie der Mann aus dem einstigen Gaddafi-Staat war ihm noch nie untergekommen.
»Er meint«, schaltete sich Pauline wieder ein, »dass in seinem Land Krieg ist. Dass dort die Regierung auf ihre eigenen Bürger mit Kanonen schießt, dass Mord und Totschlag herrschen.«
»Ja, ja, schon klar«, meinte Kastner nachdenklich, »dass in so einer Situation kein Führerscheinantrag bearbeitet werden kann. Das tät’ man nicht einmal bei uns Bayern schaffen. Jedenfalls nicht zeitnah.«
»Können Sie nicht ein Auge zudrücken, Herr Kriminalkommissar?«, fragte Pauline nun und klimperte mit den Wimpern.
Kastner wurde es sofort ganz warm ums Herz, dann sagte er so laut, dass es auch sein Kollege, mit dem er heute Dienst vor der »Reception« schob, hören konnte: »So, Herr Mohammed, dann packen’S jetzt Ihren Führerschein wieder ein. Es scheint ja alles in bester Ordnung. Aber stehen bleiben könnt’s ihr hier mit dem Bus fei nicht. Das ist euch schon klar, oder?«
»Aber wir wollten doch beim Casting mitmachen«, entgegnete Pauline überrascht.
»Ja, aber mir haben jetzt hier ein neues System.«
Kastner erklärte der Chefin der Amazonen, dass fortan jede junge Frau, die bei der Haremsauswahl mitmachen wollte, eine Nummer ziehen müsse. Dies sei eine Idee des Hoteldirektors Geigelstein gewesen, der als Gymnasiast mal einen Schnuppertag beim Kreisverwaltungsreferat in München absolviert habe. Man könne des Ansturms der Frauen sonst nicht mehr Herr werden. Deshalb müssten auch Pauline und ihre Freundinnen eine Nummer ziehen – und dann heiße es erst einmal warten. Denn die Nummern, die heute gezogen würden, seien erst ab übermorgen dran. Der Scheich habe nämlich schon über dreihundert Frauen gecastet. Und der Herr Aladdin, der Assistent und Cousin des Scheichs, habe gesagt, dass der Emir erschöpft sei und sich etwas schonen müsse, weshalb er beim besten Willen nicht mehr so produktiv und zügig casten könne wie bisher. »Drei Herzinfarkte hat der Raschid bin Suhail schon gehabt«, fügte Kastner dramatisch hinzu. »Aber das ist ja auch kein Wunder, wenn man nicht nur die Verantwortung für ein Königreich, sondern auch zusätzlich noch für fünf Ehefrauen trägt.«
Pauline sah ein, dass sie und ihre Gefährtinnen Geduld haben mussten. Sie verabschiedete sich von Kastner und lud ihn ein, sie am Abend im Zeltlager zu besuchen.
Sepp Kastner überlegte lange, ob er der Einladung in das Zeltlager wirklich folgen sollte. Am See genoss er als allzeit seriöser Polizist ja ein gewisses Ansehen. Und wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, ging es im Zeltlager recht freizügig zu. Zudem war eines der wichtigsten Gebote für den Erfolg seiner Arbeit das der unbedingten Neutralität. Und schließlich konnte ihm ein Besuch bei den Hippiemädchen womöglich dabei schaden, Anne Loop von seinen Qualitäten als Mann zu überzeugen. Doch gerade was den letzten Punkt anging, lief die Sache derzeit ohnehin nicht rund. Sosehr er sich auch um Annes Gunst bemühte, über einen rein freundschaftlichen Umgang mit der »Angelina vom Bergsee«, wie man Anne in Anspielung auf den berühmten Filmstar Angelina Jolie nannte, kam er nicht hinaus. Und dann fragte ihn seine Mutter bei der Abendbrotzeit mit gesalzenem Radi und kaltem Leberkäs auch noch, ob er jetzt eigentlich schon ein »anständiges Madel« gefunden habe, das er heiraten und mit dem er ihr Enkelkinder schenken werde – sie wisse schließlich nicht, wie lange der Herrgott sie noch auf Erden weilen lasse.
Das alles schlug sich auf Kastners Gemüt, und so erklärte er seinen Besuch im Zeltlager zum Ermittlungsauftrag, mithin zu einem dienstlich notwendigen Termin. Sollte
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