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Aufgeflogen - Roman

Aufgeflogen - Roman

Titel: Aufgeflogen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gebrochenbei einem Sturz, vor Jahren. Beim Einkaufen hatte sie auf dem Bürgersteig einen hervorstehenden Stein übersehen und war gestürzt. Passanten halfen ihr auf und riefen einen Krankenwagen. Sie hatten es gut gemeint. Eugenia aber nahm ihre ganze Kraft zusammen und machte sich aus dem Staub. Ob sie verrückt sei, rief ihr jemand nach. Undankbar, das Wort hörte sie auch noch. Dann war sie weg und hatte Einkäufe im Wert von fast 50   Euro zurückgelassen.
    Eugenia hatte Angst vor den Rettern. Angst, dass sie sich eine Behandlung nicht leisten oder dass ein Mitarbeiter des Krankenhauses sie den Behörden melden könnte. Damals hatte sie sich an den Pfarrer der Kirche gewandt, in die sie sonntags zum Gottesdienst ging. Er kannte einen Arzt, der half. Ohne nach Papieren oder einer Krankenversicherung zu fragen.
     
    Es war eine harte Zeit gewesen, erzählte Eugenia weiter. Sie wollte gerne arbeiten mit ihrem Gips, aber manche Menschen, bei denen sie putzte, waren dagegen. Entweder vermuteten sie, dass sie weniger oder schlechter arbeitete. Oder sie befürchteten, vor sich selbst wie Menschenschinder dazustehen. Das Geld fehlte natürlich. Eugenia nahm den Gips ab und legte eine harte Bandage an, die sie unter einem weiten Ärmel verbarg. Sie arbeitete mit Schmerzen. Der Arm heilte nie ganz aus.
     
    »Wie habt ihr all das überstanden?«, fragte ich Eugenia und Isabel. »Die erste Zeit in diesem Land, die Kinderkrankheiten, Fieber, Durchfall, Zahnschmerzen, Bauchweh   …«
    »Manchmal hilft Gott, manchmal der Mensch«, sagte Eugenia. Isabel aber nahm meine Hand und zog mich aus der Wohnung: »Lass uns was unternehmen.«
    Sie hasste das Thema.
     
    Wir hatten immer öfter Stress miteinander.
    Ich spürte jetzt, unter welchem Druck sie stand.
    Ich sprach sie darauf an.
    Doch sie sagte, sie wolle die gemeinsame Zeit nicht mit ihren Problemen kaputt machen.
    »Ich bin dein Freund. Ich will alles mit dir teilen.«
    »Bleib in deinem Leben und tu so, als ob du nichts merkst.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Du konntest es doch die erste Zeit auch.«
    Ich blickte überhaupt nicht mehr durch.
    Der Vorwurf, ich hätte mich nicht für ihr Leben interessiert.
    Jetzt der Vorwurf, ich würde mich zu viel einmischen.
    Was denn nun?
    Ich konnte ihre Verzweiflung hinter diesen Widersprüchen nicht erkennen.
     
    Leben, ohne aufzufallen. Da sein, ohne gesehen zu werden. Arbeiten und dabei ausgebeutet werden. Jede Krankheit eine Katastrophe, jeder Polizist eine Gefahr, jede Kontrolle eine Falle. Andere Jugendliche machten sich einen Spaß daraus, zu provozieren und aufzufallen, Isabel blieb im Hintergrund. Ein Mensch ohne Papiere existiert nicht.
     
    Nachdem meine Versuche, Isabels Lage zu verbessern, so kläglich gescheitert waren, wagte ich einen letzten und ziemlich mutigen Vorstoß: »Wir suchen deinen Vater.«
    »Nein.«
    »Er kann euch helfen.«
    »Vergiss es.«
    »Aber   …«
    »Ich   – will   – das   – nicht.«
    Sie sprach laut und klar, bemühte sich, ihre Anspannung vor mir zu verbergen.
    »Der muss doch zu finden sein!«
    Sie verdrehte genervt die Augen.
    »Wir haben hier ein Meldesystem   …«
    »Das brauchst du mir nicht erzählen«, fauchte Isabel mich an.
    Natürlich. Das wusste sie nur zu gut.
     
    Ich redete mit Eugenia. Isabels Vater könnte sie doch wenigstens finanziell unterstützen. Er hatte Medizinstudiert. Wenn er als Arzt arbeitete, war er vermutlich nicht ganz mittellos.
    »Du willst uns helfen, ich weiß. Aber pass auf, dass du Isabel dabei nicht verlierst.«
    Obwohl sie meinen Recherchen skeptisch gegenüberstand, sagte sie mir, was sie wusste.
    Der Mann hieß Johannes Lehnert. Angeblich war er nach dem Studium nach Berlin gegangen.
    Ich recherchierte im Internet. Kein Dr.   Johannes Lehnert in Berlin.
    Ich sah mir das Umland an. Nichts.
    Andere große deutsche Städte. Erste Treffer.
    Ich recherchierte weiter. Manche hatten Websites.
    Zu alt, zu jung, einer schrieb, er habe in Tübingen studiert. Nicht Bochum.
    Ich verbrachte Stunden und Tage damit. Wenn Isabel arbeitete.
    Nach ihrer heftigen Reaktion hatte ich ihr verschwiegen, dass ich nach ihrem Vater suchte.
     
    Ich wandte mich an einen Privatdetektiv.
    Log ihn natürlich an. Sprach von meinem leiblichen Vater, den ich suchte.
    Bat ihn um Hilfe, sagte ihm, was ich von Eugenia über diesen Mann wusste.
    Er glaubte mir kein Wort, aber mit einer Vorauszahlung konnte ich ihn sogar davon überzeugen, dass ich schon volljährig war.
    Es

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