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Aufgeflogen - Roman

Aufgeflogen - Roman

Titel: Aufgeflogen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einem Blick, dann will er an ihm vorbei. Doch sein Vater ist hartnäckig: »Vielleicht kann ich ihnen helfen.«
    »Du denkst doch, dass sie hier in Deutschland gar nichts verloren haben.«
    »So schlicht sind meine Gedanken nun auch wieder nicht. Aber man muss sich schon an die Spielregeln und Gesetze des Landes halten, in dem man leben möchte.«
    »Hättest du das 1940 auch gesagt?«
    »Hör auf mit diesen polemischen Vergleichen!«
    »Dann sag du mir, wie sie sich an die Gesetze eines Landes halten sollen, das ihnen noch nicht einmal einen Ausweis geben will!«
    »Man kann eine Einbürgerung beantragen   – unter bestimmten Umständen   …«
    »Verkauf mich nicht für dumm, Dad. Ich weiß genau, dass das nicht so einfach ist.«
    »Wenn sie Verwandte hier hätten   …«
    Christoph denkt an Hajo Bruckner, einen kleinen Moment überlegt er, ob er seinem Vater davon erzählen soll. Dann aber lässt er es.
     
    ›Du fehlst mir‹, schreibt er in einer SMS. ›Ich vermisse dich und fühle mich so ohnmächtig, weil ich nicht mehr für euch tun kann.‹
    ›Schreib nicht so viel, wenn es gefährlich ist‹, mahnt sie ihn und nimmt ihre eigene Mahnung gar nicht ernst, indem sie eine Frage stellt, auf die er antworten muss: ›Was macht die Polizei?‹
    ›Sie befragen alle Hausbewohner und suchen euch als wichtige Zeugen.‹
    ›Gib’s zu: Sie verdächtigen uns.‹
    Er kann nicht einmal per SMS lügen.
     
    »Da bist du ja ganz schön in die Scheiße getappt«, brummt Ben, als Christoph zur Schule kommt.
    Er antwortet nicht.
    »Ich hab mir gleich gedacht, dass mit der was nicht stimmt«, legt Ben nach.
    »Mit ihr stimmt alles, sie hat nur keinen Ausweis«, antwortet Christoph.
    Aber er weiß, es ist sinnlos zu argumentieren. Denn nun sieht er das Misstrauen in Bens Augen.
    »Du hast es also gewusst?«
    Christoph schüttelt nicht einmal den Kopf. Er hat keine Lust und keine Kraft mehr zu lügen.
     
    Erst jetzt merkt Christoph, wie wenig er in die Welt von Isabel und Eugenia eingetaucht ist, obwohl er dachte, er sei ein Eingeweihter, ein Vertrauter. Er weiß, dass sie Freunde haben, die auch illegal in Deutschland leben. Aber er kennt kaum Namen, er weiß nicht, wo er sie treffen, woran er sie erkennen kann. Sind siewirklich Freunde oder nur Leidensgenossen, können sie ihn überhaupt unterstützen, wenn er sie um Hilfe bittet? Muss nicht jeder von ihnen selbst sehen, wie er über die Runden kommt, ohne von der Polizei erwischt zu werden?
    Er besucht den Pfarrer, in dessen Kirche Eugenia öfter zum Beten war. Aber selbst der sieht keine Möglichkeit, wie man den Frauen nun helfen kann.
    »Es ist fatal, wenn die beiden mit einem Mord in Verbindung gebracht werden.«
    »Aber sie sind unschuldig!«
    »Davon möchte sich die Polizei sicherlich gerne selbst überzeugen   – und deshalb wird sie die beiden auch mit allen Mitteln suchen.«
    »Wo sie jetzt sind, können sie nicht ewig bleiben. Können die beiden vielleicht zu Ihnen   … oder wissen Sie eine Möglichkeit?«
    Der Pfarrer schüttelt bedauernd den Kopf.
    »Alle wissen, dass ich Menschen ohne Papiere helfe. Wer untertauchen muss, kommt nie bei mir vorbei, vor lauter Angst, die Polizei könnte hier nach ihm suchen.«
     
    Als Christoph das Pfarrhaus verlässt und auf seinen Roller steigt, hört er, wie ein Autofahrer hinter ihm seinen Wagen startet. Er sieht sich um. Doch der Mann fährt aus der Parklücke und verschwindet. Er fühlt sich ständig verfolgt. Er traut niemandem mehr.Besser als je zuvor versteht er nun Eugenia, die bei jedem Menschen in Uniform zusammenzuckte, die in jedem Hausflur verschwand, wenn ein Polizeifahrzeug auch nur in der Nähe war, die jeden Ort mied, wo viele Ausländer waren und wo deshalb häufig kontrolliert wurde, die in jedem Bus, in jeder U-Bahn nahe an der Tür stand. Ruhig wirken, wachsam bleiben. Und das Tag und Nacht, viele Jahre lang. Er weiß nicht, ob er das geschafft hätte.
     
    Dieser Mann ist seine letzte Hoffnung. Er ist unbescholten, wird von niemandem mit Eugenia und Isabel in Verbindung gebracht. Auch wenn er Isabels Vater ist. Das weiß keiner.
    Er hat sich übel benommen, damals als Eugenia von ihm schwanger war. Er hat lieber die Tochter eines angesehenen Internisten geheiratet und ist mit in die Praxis eingestiegen, statt zu seiner Verantwortung zu stehen.
    Aber jetzt hat er die Chance, etwas wiedergutzumachen. Christoph fand den Mann doch bei seinem ersten Besuch in der Praxis gar nicht unsympathisch.

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