Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufgelaufen

Aufgelaufen

Titel: Aufgelaufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koehn
Vom Netzwerk:
Obenrum war er feucht, durchgeschwitzt. Der Wodka und die ungewohnte Anstrengung machten das. Er fuhr dem Straßenschild nach, Richtung Ga r tow, einer Kleinstadt. Dort konnte man einkaufen, dass wusste er von früher. Er wollte nichts kaufen, er wollte unerkannt unter Menschen sein. Hätte einer mit dem Finger auf ihn gezeigt, gerufen: „Da ist der blöde Pole, der gestrandete“, nie wieder würde es ihn vom Kahn bringen...
    Eine Gaststätte, auf dem Plattenspieler drehte sich fünf Mal hintereina n der Elvis: „Are you lonesome to night ...“ Der dritte und vierte doppelte Wodka machte den Song auch nicht besser. Eine Blonde stand am Tresen. Pierre hatte gleich das Gefühl des Unvermeidlichen.
    Am Deich lagen sie im Gras. Sie knöpfte sein Hemd auf. Er nuckelte unter offener Bluse an ihren Brustwarzen, schälte sie aus der Wäsche.
    „Nimm mich von hinten!”, forderte sie.
    Schon nach Minuten floss sie weg. Pierre war gedankenlos, war irgen d wo, nur nicht bei ihr. Sie war weiter auf Zärtlichkeiten aus, nahm sein Glied in die Hand. Als es vorbei war, lag Halbschlaflicht in ihren Augen und die unvermeidliche Frage:
    „Sehen wir uns wieder?”
    Er hatte einen Geschmack im Mund, als hätte er auf sandigen Wurzeln gekaut. Zurück in der Kneipe, auf dem Klo, als er sich das Glied wusch, rotzte er gegen den Spiegel. Danach Weinbrand mit der Blonden.
    „Marie, ich heiße Marie”, sagte sie, „und du?”
    „Pierre.”
    Ein Mann trat heran. Dürr und bleich war der, mit schwarzem, stum p fem Haar, zerrupftem Bart, unruhigen Augen, nervösen Fingern.
    „Ach, Emil”, sagte Marie, „was machst du denn hier?”
    „Ich ...”
    Pierre blätterte in der Zeitung.
    „Hör mal”, sagte der, „du kriegst was aufs Maul, wenn du Marie nicht zufrieden lässt!”
    „So, von dir?”
    „Ja, von mir!”
    Man sollte immer tun, was man sagt, ein alter Spruch des Großvaters, der aber nicht für alle galt. Auch deshalb schlug Pierre Emil ohne Ko m mentar den Aschenbecher ins Gesicht. Der fiel um, lag gedunsen und fahl, zitterte. „Mandolinenfieber“. Blut rann ihm aus der Nase.
     
    Zurück, am Dingi, band Pierre das Moped an einem Baum fest. Das Wasser war weiter gesunken, der Kahn näher als zuvor. Der Spediteur tobte: „Unverschämtheit!“, durchs Telefon, als ob Pierre das Wasser we g ge soffen hät te. Wenn der wüsste ...
     
    Früher Winter, die Tage dunkelten rasch. Gaffer blieben aus. Aus Wa s ser war Morast geworden. Eine Schneise, blau schimmernde Lichtrinne, hatte er sich durch den Morast zu den kahlen Sträuchern und Bäumen am Deich getreten. Ab und an traf er Marie. Die hielt jedes Mal seine Hände, fragte: „Was wird?”
    Triste Zweige auch hier am Deich, wenn sie neben dem schwarzgrünen Wasser im Stehen fickten.
    „Nichts wird!”, sagte er ihr in verschreckte Augen. Sie kramte in der Handtasche, erst das Taschentuch für die Tränen, danach schrieb sie jedes Mal ihre Telefonnummer auf.
    „Hier, du kannst mich jederzeit anrufen ...”
     
    Über Feldern und Straßen hing Dunst. Der Weg hin und zurück war menschenleer. In Dörfern blinkten erste Weihnachtslichter hinter Fen s tern. Das Bildnis von Land und Fluss war glatt und öde; still stand sein Kahn in der Zeit. In Gartow hatte er sich in die Leihbücherei eingeschri e ben, schmökerte dort oft. Bücher, Tageszeitungen, Magazine. Einen Weihnachtsbaum hatte ihm jemand ans Moped gebunden, einen Zettel daran: „Wer dem Licht entgegengeht, sieht seinen Schatten nicht.“
    Marie war’s, vermutete er.
    Dem Bäumchen hatte er einen Tag später einen Platz auf dem Vorschiff gegeben, Sehnsuchtsort, weil er dort lag und träumte, wenn es Träume waren. Kerzen und Lametta zum Baum wollte er noch besorgen.
     
    Zwielicht, am flachen Teil des Deiches stand ein Mann in Uniform. Dessen Taschenlampe zuckte nervös, brachte schwaches Licht rüber, fl a ckerte, als wollte sie sterben. Pierre rief: „ Zu mir?”
    „Ja!”
    „Na bitte.”
    Als der Uniformierte an Bord war, am Tisch saß, klopfte er mit der Lampe einen durchdringenden fordernden Takt aufs Holz, Wagners Gö t terdämmerung.
    „Ihre Papiere, bitte.”
    Nachdem die Dokumente überprüft waren, schien er zufrieden, denn er klopfte fröhlich, heiter, brasilianisch, um dann unvermutet aufzustehen, die Arme in die Luft reißend zu befehlen: „Gehen wir in den Laderaum!”
    Dort beugte er sich überall tief herab, schnüffelnd wie ein Hund, der Drogen sucht.
    „Das Schott muss aus

Weitere Kostenlose Bücher