Aufgelaufen
den Schlagring. Solide das Teil und leicht. Gusseisen, mit fünf vorstehenden Noppen. In Wind und Wetter fuhr er mit dem Moped nach Gartow, zur Kneipe.
„Wo ist er?”
„Im Klo.”
Nach dem ersten Schlag schaute Emil überrascht. Der zweite spaltete ihm die Lippe, der dritte die Augenbraue; er versuchte sich am Urinal hochzuziehen. Sein Jochbeinknochen brach wie nichts. Er schlug der Lä n ge lang hin. Blut rann ihm aus dem Maul.
„Hast du genug?” Nichts ... Pierre ließ ihn liegen, fuhr weiter, zum Krankenhaus. Ihr Gesicht war gegen ihn gewendet, als ob sie ihn erwartet hätte.
„Schön, dass du gekommen bist.”
Sie war spitz, kochte feucht hoch. Er stieß zu, ohne etwas zu sagen , und erst nach dem Erguss entwich ihm der Druck hinter dem Stirnbein.
„Denke nicht”, sagte sie. „W enn du denkst, bist du mir unheimlich.”
„So?”
„Hier, nimm das Geld!”
Sie gab ihm ein verschlossenes Kuvert.
„Was soll das?”
Er liebte sie nicht. Er brauchte ihr Geld nicht; die Urfut, nichts sonst.
8
Endzeit war, Gefühlsleere in ihm. Von irgendwo zog eisiger Atem vo r bei. Es roch nach Karbol und Winter. Kälte war, Nacht. Die Zeit zerpresst vom Gewicht Vergangenem. Eben noch warme Scheiße, die in Minuten gefror. Wochen und Monate Dunkelheit, der man nicht aus dem Weg g e hen konnte. Ekel, der notwendig, aber nicht da war. Das Leben als ve r pisstes Bett, das er morgens hinter sich ließ. Er, Figur auf Eis, das trocken knackte, als zerträte jemand Zuckerwürfel. Die weiße Weite als blende n des Tischtuch, die in seinen Augen schmerzte. Und der unaufhörliche Wind, der Sturm, der die Bäume des nahen Waldes knackend umlegte, der alles Leben auf null und darunter abkühlte. Lebensfeindlich die an die Schiffswand rumpelnden Eisschollen. Diese dicken Batzen von kristall e nen Wellen, die wieder und wieder vom Strom angeschoben gegen die Bordwand bolzten.
Dieses elende Eis, das bog sich tagelang krachend in- und übereinander, türmte sich kopulierend am Schiffsleib, um den zu zerstören. Dazu oft harscher Lärm, ein Sirren und Klirren, Glasharfenspiel, das höher als Menschengesang tönte. Fremde Melodien, im Fluge von weit her, die in der Nähe des Schiffes zu Kanonendonner anschwollen, zum Tod, der b e drohlich über die Brache peitschte, um alles zu vernichten. Schloss er die Augen, konnte er ihn erkennen, – hinten im Süden. Westlich lag das Städtchen Schnackenburg, das unendlich fern schien an solchen Tagen. In die Kneipe, nach Gartow, gelangte er bei solchem Wetter schon gar nicht. Gänse waren seine täglichen Begleiter, die er von Bord aus mit Abfällen fütterte. Die Essensreste warf er zwischen die flügelschlagende Masse. War wieder Ruhe, standen die Viecher wachend als Terracottaarmee n e ben dem Kahn, manche den Kopf zwischen den Schwingen, um sich vor der Kälte zu schützen, andere balancierten kunstvoll auf einem Bein – Artisten.
Einige Male tunkte er Brot in Wodka. Gänse vertragen nichts, wusste er bald. Ein besoffener Betriebsausflug war nichts gegen sie. Dieser Krach, die ständigen Streitereien, dieses ungehemmte Kotlassen. Schwarzbraune Würstchen teils in Federn verpackt um sein Domizil herum, die alles ve r sauten, wie er meinte. Und doch, als eines von dem Viehzeug in einer eisfreien Stelle, betrunken wie es war, zu ertrinken drohte, sprang er hi n zu, packte das Tier am Bürzel und rettete es. Nach drei Tagen Pflege lief die Gans wie neu und ohne sich nach ihm umzudrehen.
Dann aber saß er betrunken. War im tagelangen schwankenden Gehen rund um das Schiff, auf Deck torkelnd, an der Reling entlang. Schlitternd über rutschige Planken. Letztendlich waren Januar, Februar und März vorüber und er wusste, wie weit weg für ihn die Normalität bereits war, wie bedeutungslos für ihn menschliche Nähe. In seinem Inneren, nach dem Ritual von Gespräch, Beratung, Schlussfolgerung, erreichte er eine einsichtige Zone, ein persönliches Gesetz außerhalb der eigentlichen G e setze – den Überlebenswillen. Schlicht riet die Stimme in ihm: Es ist Zeit, mit der Sauferei aufzuhören, die Gänse werden auch bald auf den Weg sein. Ja, er wusste, er würde alleine sein, wenn er die tägliche Sinnlosi g keit nicht stoppen könnte.
Andererseits brauchte er diese tiefe Bewusstlosigkeit, die war das Einz i ge, die ihn mit sich selber aussöhnte, die ihm als Seelenmedizin vertraut war. Luftblasen, sein Denken, die zur Oberfläche aufstiegen, dieses a u genblicklich
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