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Aufgelaufen

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Titel: Aufgelaufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koehn
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blutige Gebirge in der Brust muss raus, sagte das Gefühl. Er hatte keine bessere Idee; einen Halbzollnagel schlug er mit der Holzsohle des Schlappen in seine Brust. „Dich mach ich alle!“, hatte er dabei gerufen. Es blieben eine Wulst, eine Narbe, eine Warze, Gedanken, die an unsichtbaren Marionettenschnüre n hingen , seine Mundwinkel zucken ließ en , seine Augen , Finger und Beine. Angst, die fiel wie Schn ee, weiß, sanft, unmerkbar erst , ihn zudeckend, erstickend. Es waren andere da, denen ging es wie ihm. Er konnte sie nicht ertragen. Er saß lieber alleine, als in sinnlosen Gesprächen um das Leben zu ringen. Faustschläge und Fußtritte teilte er aus, um für sich zu bleiben. Morgens, noch vor dem Frühstück, wurden die nächtlichen A b gänge aus dem Keller geholt. Die wurden in schwarzen Kastenwagen zwischengelagert. Zurück blieb Gestank. Waren die schwarzen Fahrer mit dem Essen fertig, stob Kiesel und Schnee, so rasant preschten die vom Hof. Pierre konnte das Schauspiel vom Fenster aus sehen. „Wann ich?“ Auch das gehörte zur Serie unnützer Fragen im schwach fließenden L e ben.
    Monate waren vergangen und er schaute nicht mal mehr hin. Wochen mussten noch vergehen, es war ihm egal. Als der linke Lungenflügel fau l te, schnitt man ihn raus. Ab da ging es aufwärts im Abwärts. Die gelblich-weiße Masse blieb drin, die vorher müde Zunge wurde redegewandter. Den Ärzten war er Lob schuldig. Geblieben dagegen Falten, vom Nase n flügel zum Mund, die stärker und tiefer wurden, je länger er hier war.
    „Sie haben eine kräftige Konstruktion, der haben Sie diese überrasche n de Gesundung zu verdanken”, tat der Oberarzt begeistert.
    „Ein paar Tage Reha noch”, meinte der Professor. Einzelzimmer in Weiß, Radio und Fernseher. Eins-A-Essen, psychologische Fürsorge, die seine Dunkelheit umpflügte, die sein verbogenes, verzweifeltes Selbst auf den Steinplatten der Analyse zertrat. Die nichts und nie begriff. Da musste er durch.
     
    Im Erdgeschoss arbeiteten einige Rekonvaleszenten an Einlegearbeiten. Die er kannte, denen nickte er zu. Dann krachte die grüne Holztür ins Schloss, er war draußen.
    Zuhause lag er auf dem Bett. Die Nachbarin hatte er auf dem Flur g e troffen.
    „Oh, Sie sehen aber derangiert aus. Kann ich etwas für Sie tun?”
    Sie konnte. Er brauchte nichts zu sagen. Als sie kam, hatte er die Hose aus.
    „Müde Augen hast du”, sagte sie.
    „Du riechst gut”, er.
    Sie hatte einen runden Hintern. Er griff ihr zwischen die Beine. Dann waren ihre aufgeworfenen Lippen überall. Sie nahm seinen Schwanz in den Mund. Lust und Sehnsucht in roten Kreisen, ihr weicher Körper an seinem. Zunge an Zunge, heiße Haut, zitternde Brüste – um und über ihm. Er spritzte ihr in die Hand, den Mund, in die Fut, ins Laken.
    Sie hieß Gudrun und war schön – im Dunkeln. Makellos ...
    „Ich mag dich sehr”, sagte sie. Und ihre Augen schwammen im blauen Nichts der Worte davon.
    „Ich mag dich auch”, log er in einem langen Atemzug, lag unbeweglich. Ein Sack, gewichtslos und doch schwer. Die schäbige Nacht brach in fa r bigen Lichtkaskaden der Neonröhren von gegenüber. Dann waren sie b e trunken.
    „Ich brauche dich. Du bist so zärtlich, leckst so gut.”
     
    Er lag da und wollte das Vakuum aus seinem Schädel bekommen. Die Bude, in der sie waren. Das Bett, das verwohnte Mobiliar. Er wollte A n sprüche ans Leben stellen; das sagte er ihr.
    „Ich werde für dich sorgen”, sagte sie.
    „Sorg du für dich und dein Kind. Ich sorge schon für mich!” Seine Stummheit spülte ihre drängenden Worte aus der Zeit. Das Licht ging an. Ihre Haut war kalt und faltig. Die Schminke verschmiert. Mit den Händen spielte sie am Betttuch, drehte Kringel hinein. Dann wurde es peinlich, mehr nicht. Es kam immer so: Lachen und Weinen waren eins. Der Mo r gen danach ein dunkler Kasten. Er griff nach der Hose.
    „Ich hä tte auf dich gewartet!”, schrie sie hinter ihm her. Es änderte nichts, sie war eines oder jedes Weib.
     
    Ein Anruf lockte ihn nach Polen, Stettin. Ein Bekannter aus der U m schulung erwartete ihn.
    „Die suchen einen, der einen Kahn fahren kann.”
    „Den hier, die  ‚Guste’?”
    „Ja.”
    „Stettin‚ Guste, ich bin da“, dachte er.
    Der Kahn, ein fünfundvierzig Meter langes Stahlgerippe in holzverkle i deter Schwärze. Vorne drauf pappte weiß der Steuerraum, dahinter die Wohneinheit. Unten Pantryküche und Schlafraum, Dusche. Ein Diesel gespeister Generator.

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