Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufgelaufen

Aufgelaufen

Titel: Aufgelaufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koehn
Vom Netzwerk:
Sicherheitsgründen immer verschlossen sein“, antwortete Pierre auf die Frage, was hinter der Eisentüre wäre. „Vo r schrift!”
    „Und, was ist da drin?”
    „Ne Kühltruhe; ich hab den Schlüssel im Moment nicht.”
    „Wo ist er?”
    „Der ist bei der Havarie verloren gegangen.”
    „Aha ... na gut. Muss ich noch mal wiederkommen; könnte ja ne Leiche drin sein, hahaha!”
    Und er schlug Pierre auf die Schulter.
    „Was zu trinken da?”
    „Wodka!”
    „Gut.”
    Mit glanzlose r Miene unter einer niedrigen Stirn, tiefer Haaransatz, saß er Pierre vis-à-vis . Und was noch auffiel: Die Augen blickten ins Bode n lose, abgrundtief, je mehr sie tranken; ein Landgesicht, Bauernfratze, das hoffnungslos verlebt, versoffen aussah.
    „Kannst Manfred zu mir sagen.”
    „Pierre.”
    „Pierre, da ist noch die Sache mit Emil, der hat wegen der Körperverle t zung Anzeige erstattet. Wenn du das nächste Mal in Gartow bist, komm zu mir, wir müssen ein Protokoll machen. Übrigens, Marie war schon da, die hat für dich ausgesagt. ”
    Und er kniff verschwörerisch ein Auge, schlug ihm wieder und wieder auf die Schulter, lachte, als ob irgendwas besonders lustig wäre.
     
    Als der Polizist nach Stunden ging, war es spät und früh gleichermaßen. Dessen Taschenlampe wackelte den Weg und ging nach einer Weile hi n ter der Windschutzscheibe des Polizeiwagens verloren. Schließlich waren Kerl und Karren endgültig verschluckt. Dunkel war es, nachts, irgen d wann zwischen zwei und fünf. Pierre stellte sich vor, Effie nackt in den Armen zu halten. Kerzen brannten, Heiligabend war.
     
    Betrunken stand er am Torbogen vor der Kirche. „Das Kirchenschiff sieht aus wie eine Festung“, dachte er; eine Bastion, ein Knast, eine Falle. Am Mauerwerk stellte er das Moped ab, setzte sich auf die Mauer vor dem Gotteshaus. Männer und alte Weiber gingen vorüber. Die Frauen hatten Schals bis über den Kopf, trugen schwarze Kleidung, die Männer Mützen mit Ohrenschützern. Die dunkle Masse querte den Vorhof. Ihre Schritte schlingerten, ein Rhythmus, eine Langsamkeit in Bewegung, das eher ein geisterhaftes Innehalten war als Gehen. Einzelne nickten ihm zu, verschwanden durch die Kirchentüre.
    Pierre war der Augenblick Erinnerung an Vergessenes, an Mutter und seine Jugend, an Vater. Trotz allem beunruhigt e es ihn nicht, daran zu denken. H usten musste er, um die unheimliche Stille der Situation in sich zu brechen, diese Todesfalle. Singen in der Kirche, die Stimmen hoben und senkten sich gleichgültig und ohne Begeisterung. Klagen, entfernt von Lust, von Vergangenheit wie Gegenwart, und von dem, was kommen musste und doch wieder nicht. Pierre saß wie tot, verschüttet in sich selbst, in Gedanken an Wachs und Honig der Kindheit und die Strenge des Torfgeruchs im Knast – damals.
     
    Er saß immer noch da, als alle bereits gegangen waren, starrte hoch zum Turm und erst als das dröhnende Geläut verstummte, kam er zu sich.
     
    Er stand auf und spürte schwer seine Arme, den Körper, als hätte er t a gelang Holz gehackt. Er warf das Moped an, und, wie um dem Wei h nachtsabend ein Ende zu setzen, waren die Lichter im Städtchen erl o schen, war Dunkelheit und Kälte.
    Irgendwas musste er gegen die Langeweile tun. Noch im Frost fing er an, den Kahn zu streichen. Auch der S pediteur hatte ihn ermuntert: „Mit dem Frühjahrshochwasser kommt das Schiff bestimmt frei!“
    Beim Streichen, der monotonen Verteilung von Farbe über die Seele, häuften sich die bald nicht mehr unterscheidbaren Gedanken, die Leerlä u fe in Zwang und Gewohnheit. Und manchmal zweifelte er sogar an se i nem Durchhaltevermögen in dieser Ödnis. Ab und zu kam Marie.
    „Ich bin weg von Emil”, sagte sie.
    „Du bist frei”, sagte er.
    Sie: „Ich will bei dir sein.”
    „Es ist sinnlos ...”, dann fielen sie übereinander her, und alles andere war egal.
    Tage später, beißender Wind kam auf, der endlos dauerte. Moped fahren konnte er vergessen. Marie sah er auch nicht; wie er später hörte, lag sie im Krankenhaus. „Gut“, dachte er, „dass ich genügend Vorräte habe.“
    Eines Tages war sie weinend am Telefon.
    „Ich bin im Krankenhaus.”
    „Und warum?”
    „Der Emil war’s ...”
    „Was war?”
    „Der hat mich verprügelt, dabei habe ich mir das Bein gebrochen.”
    „Wie lange wird es dauern?”
    „Weiß nicht, ist kompliziert.”
    „Wenn ich kann, komme ich dich besuchen.”
    „Versprochen?”
    „Ja!”
    Unter seinen Werkzeugen fand er

Weitere Kostenlose Bücher