Aufgelaufen
doch ..., hören Sie ...!”
„alle Zeit !” Er legte auf, noch die Stimme des Spediteurs im Ohr. Ja, er hörte, doch nicht auf den, auf den hatte er noch nie gehört. Noch nie.
Er stellte das Radio an. „Hochwasser auf Elbe und Oder. Morgen we r den weitere Niederschläge erwartet.“ Er trat zwei Schritte nach draußen, die Flasche in der Hand. Am Himmel balgten Hundewolken. Dazwischen Sterne, eiskalt. Wind, der nach Sekunden zum Sturm wuchs. In der Ferne Lichter. Der Hafen von Schnackenburg, vermutete er. Dort sollte er e i gentlich liegen, im Hafen, nicht hier, auf den Wiesen. Was soll’s, morgen würde ein Schlepper kommen, ob er wollte oder nicht. Morgen würde es regnen oder auch nicht. Und er musste morgen mit dem Spediteur reden. Er legte sich aufs Sofa, war müde, döste vor sich hin. Aufdringlich schlug Regen ans Fenster, rund um den Kahn düsterer Brei. Da, die Stille fiel ihm plötzlich auf, das summende Geräusch des Hilfsdiesels war nicht mehr zu hören.
„Wie lange wohl schon? Ich habe ihn vor Tagen doch gründlich gewa r tet oder nicht?“, grübelte Pierre.
Ihm fehlte keineswegs die Beleuchtung, oder das Radio, das Telefon. Das waren Dinge, die sich notfalls über die Batterie ernährten; die Küh l truhe, was da drin war, darum sorgte er sich. Und auch die Gottheit Minka strich schon fragend herum. Ja, ja, wenn das Fleisch auftaute, anfinge zu stinken, Würmer sich an die Arbeit machten das gäbe ’ne Schweinerei.
Mit der Stablampe in der Hand kletterte er in den Schiffsbauch. Nach wenigen Schritten war der Startknopf des Notaggregats erreicht. Hustend sprang der gewaltige Motor an. Licht flammte auf, der Lautsprecher des Radios brummte.
Er ging zum Hilfsdiesel. An dem Maschinchen bemerkte er äußerlich keinen Schaden. Ein Schlag mit dem Hammer auf das Teil, nichts, Schweigen. Er beließ es dabei. Der brauchte Zeit zur Erholung, einen Ö l zusatz. Genau deswegen spürte er Unbehagen in sich, sein schlechtes G e wissen bewirtschaftete ihn. Andererseits konnte er nicht sagen, dass es ihm leid täte, festzusitzen.
Am Nachmittag war der Schlepper aus Hamburg da. Der schnappte sich den Kahn am Haken, links über der Schraube. Doch nichts, als der anruc k te, nur Stöhnen im Metall. Am Bug dann – wieder nichts. Nicht mal G e räusche wie von achtern.
„Der Kahn ruht wie in Beton!”, dröhnte der Schlepperkapitän rüber. Pierre nickte, reckte den Arm zur Bestätigung.
„Wir versuchen es gleich mal vorne wie hinten – auf einmal!” Er nickte. Nichts. Die Schlepptrossen waren abgeworfen, der Bugsierer lärmend verschwunden. Er rief den Spediteur an.
„Es geht nichts? Verdammt! Was haben Sie bloß wieder angestellt!”
Pierre glaubte im Vorwurf seinen Vater zu hören, legte auf.
Er hatte Hunger. Vorräte waren genug an Bord, zu essen, zu saufen. Es regnete weiter. Doch anstatt zu steigen, fiel der Elbepegel. Die Anwohner freute es, schrammten die doch an einer Katastrophe vorbei. Für den Sp e diteur blieb es eine Sauerei; der hatte Gustes Bauch weit in die Zukunft verschachert. Pierre blieb ungerührt. Ihm fehlte wenig; wenn es an der Zeit wäre, würde er das Wenige nachholen. Die nächsten Tage fielen ihm steif ins Genick. Zu viel gesoffen, sein Blick durch dreckige Scheiben in eine triste Landschaft, bleich und ungesund. Gesichtslos. Wodka glättete die Lage. Verwischte Linien und Grenzen. Als der Regen nachgelassen hatte, die Welt von hellen Strahlen durchzogen wurde, sah er am nahen Deich Schaulustige stehen. Menschen mit Ferngläsern vor den Augen, Kinder an den Händen, baumelnde Fotoapparate. Gesprächsfetzen waren zu hören.
„Das ist ein Pole.“ „Wieso?“ „Steht doch am Heck: Szczecin! Guste steht auch dran.“ “Der Käpt’n muss besoffen gewesen sein!“
Endlos und noch in der Dunkelheit ging es weiter.
Anderen Tags lotete er das Wasser über Grund. Es war nicht viel bis zum Freischwimmen vom Kahn; im Gegenteil – der Pegel sank. Am nächsten Morgen war es flacher als Tags zuvor. Binsen stachen heraus. Der Kahn hatte sich wie müde einige Grad auf die Seite gelegt. Der Pegel fiel weiter. Pierre hatte das Beiboot an die Winde gezurrt. Um das Schiff gondelnd suchte er nach Schäden am Rumpf. „Alles grün“, konnte er dem Spediteur berichten; aber auch, dass der Wasserspiegel weiter sank.
Sein Moped fierte er in das Beiboot. Nahe am Ufer musste er es mehrere Meter über der Schulter tragen. Seine Hose durchnässte bis zu den Knien.
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