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Aufgelaufen

Aufgelaufen

Titel: Aufgelaufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koehn
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besser wussten. Darauf und auf die Versager der Opposition tranken sie noch einen. Doch letztlich blieb es egal, ob Atommülltransporte, lügende Politiker, ob trunkene Sensationsreporter, ob Tag oder Nacht, denn am Fluss ging es weiter drunter und drüber. Nicht zuletzt bezogen Feuerwe h ren und technische Hilfsdienste die im Katastrophenplan benannten str a tegisch wichtigen S tandpunkte an den Deichen. Alle kämpften mit allen Mitteln – und verloren alles, bis auf die Reporter, diese Immergewinner. Als schließlich die ersten Dämme unter dem enormen Druck des anstü r menden Wassers brachen, machten sich aus dem ganzen Land Leute auf, um am Fluss zu helfen , oder, um der Presse folgend, eine Attraktion zu erleben , in dieser sonst so kriegsarmen Zeit.
     
    Pierre kümmert e das nicht. Der fuhr gegen Strom und Müd igkeit an, als wenn nichts wäre als das; stand im Steuerhaus wie festgewachsen, den Gegner erwartend. Neben ihm, im extra angefertigten Flaschenhalter, rappelte eine Flasche Wodka gegen Metall.
    „Du musst weiter“, nagelte sich ihm ständig die Botschaft des Sped i teurs ins Hirn, unter allen Umständen weiter, neue Verträge warten, also vorwärts!
     
    Die Steuerkabine stank nach Alkohol, er auch. Denn oft genug hatte er sich bei einem Zug aus der Flasche davon über den Pullover gekippt. Egal, er trank und fuhr, bis es nicht mehr ging. Bis zum Ende …
    Gestrandet war er letztlich an einer Elbbuhne, kurz vor Mitternacht, stockbesoffen. Und, um de m Ganzen die Krone aufzusetzen , hatte er mi t ten im Getöse der Havarie eine Handvoll Captagon eingeworfen. Die sol l ten ihn wachhalten. Ein Trugschluss . U nd die Tragödie nahm Ausmaße an, die er sich nie hätte denken können. Und genau in dem Moment, als sich das Schiff tobend und bockend aus dem Strom hob, achtern über die Wiesen schob, verbrannte er sich auch noch seinen Leib sowie Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand an einer Zigarette. Die Glut war bei einem kräftigen Zug aus der Papierhülse gefallen hatte erst an seiner Hose g e pappt, brannte dann durch, und da er Winter wie Sommer nie Unterhosen trug, sengte sie ihm ein Loch in den Sack.
    Schmerz fühlte er, unten, oben. Am Hoden, im Schädel, wo auch immer. Und vor den Augen drehte es, eine nahende Ohnmacht im Hirn, die es zu bezwingen galt. Wie ein Schlachtross, das zum Abdecker geführt wurde, kam er sich vor. Brennend die Haut, tätowiert und hilflos – er. Doch diese Gedanken an Hilflosigkeit, die Panik, ins dunkelste Schwarz zu tauchen, brachten ihn für kurze Momente zu sich. Den Rückwärtsgang des Schiff s diesels hatte er darauf wie automatisch reingedrückt; deswegen die ung e wollte Achterdrehung der „Guste“. Die Schrauben heulten, als er wieder gegensteuerte. Kiesboden pflügte er, der unter dem Gewicht des Kahns knirschte und stöhnte. Hohes Gras verwand sich am Fenster links. Fr i scher Mohn? Ach was, Sommerblumen, die längst ertrunken waren.
    Dann, weit unterhalb der Wasserlinie, forderten ein paar mächtige Äste den Schiffsstahl heraus; doch der Sieger stand fest. Ratsch, war er durch.
    Wind und Regen peitschten an das Kajütenfenster. Blitze spiegelten sich silberblau. Und dann wieder beulten ihm mehrere unbeherrschbare Her z schläge die Brust. Diese zusätzliche Qual endete in einer Serie von schw e ren Rhythmusstörungen, die er am Puls spürte, die seine Brust zittern ließ, die vom Saufen kam. Vom Huren, von dem und jenem. Vom Morden. Da!  Wieder, wieder ... war sie, die Angst. Sein Spray musste her. Scheiße, er kam nicht ran, musste sich festhalten, ans Rad krallen, an die Messingb ü gel unter dem Kartentisch, an die Wodkaflasche, wenn er könnte. Und das Schiff war unaufhaltsam in seinem Vorwärtsdrang. Ein Stoßtrupp aus Stahl, den niemand aufhalten konnte.
    Doch es ging gegen seinen Willen weiter und weiter voran. Immer mehr, immer schneller. Die eben noch mattfernen Lichter eines Dorfes wurden größer, kreisende Monde, die Straßenbeleuchtung dort. Diese Lichtscheiben kamen rasend schnell näher, blitzten, blinkten, wohl um ihn vor seinem Unglück zu warnen, um dann letztlich ungesagt und stil l schweigend, fahl und wenig attraktiv an Steuerbord vorüberzuziehen, um in Untiefen abzutauchen. Wo waren die hergekommen? Hatte der Suff diese Illusionen verursacht? Herrgott - Pierre!
    In diesem Chaos hoffte er, dass der Kahn endlich zur Ruhe käme; doch nichts, Irrtum, denn plötzlich drehte sich alles seitlich über die Achse und nervtötend

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