Aufruf zur Revolte
Stelle unseren geistigen Horizont zu öffnen, andere Möglichkeiten kollektiver Entscheidungsfindung zu entwickeln und zu erproben.
Alternative, demokratischere Modelle müssten einen gewissen Pragmatismus zur Grundlage haben. Nötig wäre, gesellschaftliche Entscheidungsprozesse aus der Logik von Sieg und Niederlage zu befreien und in der Breite der Bevölkerung ein lösungsorientiertes Gespräch über Probleme und Potentiale zu organisieren. In einer solchen Verständigung wäre dann schön, wenn nicht nur technische Aspekte, Zahlen und Daten eine Rolle spielen würden, sondern auch emotionale und ästhetische »Faktoren« zu ihrem Recht kämen.
Auch deswegen brauchen wir wieder Künstlerinnen und Künstler, die Kunst als ein gesamtgesellschaftliches Arbeitsfeld verstehen und in die Auseinandersetzungen ihrer Zeit mit den Waffen des Geistes und feurigen Herzen eingreifen.
Wenn die wirtschaftliche Macht aber so himmelschreiend ungerecht verteilt ist, wie es im Moment der Fall ist, kann weder von einem lösungsorientierten Diskurs noch überhaupt von einer funktionierenden Demokratie die Rede sein. Dann gleicht das Ergebnis eher einer wirtschaftlichen Apartheid, und der kulturelle Mainstream wird das Sun City einer Segregation, wo gegen beste Bezahlung nur jene Musiker auftreten dürfen, die der Macht ein Ständchen singen.
Macht und Ohnmacht. Auch »der Staat« oder »die Öffentlichkeit« bestehen am Ende aus lauter einzelnen Menschen, in Parlamenten, Behörden, Ämtern, Redaktionen und Verlagshäusern. Und diese Einzelnen sind angesichts einer alle Proportionen sprengenden Machtkonzentration im Regelfall wehrlos.
Wehren sie sich doch, mag es ihnen gehen wie der Whistleblowerin Chelsea Manning, die ein Massaker der US-Truppen ans Tageslicht brachte und dafür im Gefängnis büßt. Oder wie Gustl Mollath, dessen Versuch, einen Bankenskandal aufzudecken, ihm sieben Jahre in der Zwangspsychatrie einbrachte. Oder man schickt gegen allzu mächtige Finanzkriminelle allzu erfolgreiche Finanzbeamte kurzerhand in Frühpension, wie in Hessen.
Diese Leute sind Helden einer demokratischen Öffentlichkeit und Märtyrer eines ungebrochenen Bürgersinns. An ihnen werden Exempel statuiert, die uns warnen sollen, gleichfalls in den Kampf gegen das Imperium einzutreten. Sie sollten uns eher Ansporn sein, genau das en masse zu tun.
Denn sollte der Überwachungsstaat nicht komplett enttarnt und abgebaut werden, stehen die Chancen miserabel, auch nur die offenkundig sinnvollsten Reformen durchzusetzen.
Das wäre ärgerlich, entspräche aber genau dem Muster der letzten Jahrzehnte. Die Antworten auf die zentralen Menschheitsfragen liegen schließlich gar nicht so sehr im Reich welthistorischer Utopien. Viel eher geht es doch um eine Reihe überaus machbarer, unstrittig sinnvoller Maßnahmen.
Gerade die Umweltpolitik zeigt das. Die letzten hundert Jahre haben unvorstellbare technologische Sprünge mit sich gebracht. Wir sind vom Telegrafen zum Smartphone und von der Erfindung des Mikroskops zur Nanotechnologie vorangeschritten. Es gibt keinen wissenschaftlich-technologischen Grund, dass wir im gleichen Zeitraum über den Verbrennungsmotor nicht hinausgekommen sind und immer noch mit unseren stinkenden Autos die Luft verpesten. Es gibt lediglich ein wirtschaftliches Interesse namens Öl, das die Entwicklung besserer Lösungen konsequent bekämpft. Das ist alles. Hätte man das Elektroauto drei Jahrzehnte lang so dringend gewollt wie andere technologische Errungenschaften (etwa unbemannte Kriegsdrohnen), dann hätten wir heute in jedem Auto einen Elektromotor oder ein anderes, umweltverträgliches Antriebssystem.
Wenn man uns erzählt, die Entwicklung des Elektromotors zur Serienreife sei in den letzten dreißig Jahren aus diesem oder jenem Grund »nicht möglich« gewesen, lügt man uns folglich an. Es wäre sinnvoll, solche dreisten Lügen ab sofort auch umstandslos genauso zu nennen: dreiste Lügen. Die beschönigende Sprache können wir getrost den Katastrophengewinnlern überlassen.
Auch dass die weltweite Plastikwelle rollt und rollt, dass die Weltmeere und ganze Landstriche vermüllt werden, hat nicht den geringsten objektiven Grund außerhalb der Tatsache, dass Plastik (der Ostdeutsche sagt, richtigerweise: Plaste) wiederum auf Öl basiert. Ansonsten sollte es ein leichtes sein, auf umweltverträglichere Verpackungsmaterialien umzusteigen.
Oder Friedenspolitik. Die sicherste Methode, eine Entmilitarisierung der Welt
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