Aufruhr in Oxford
wären hier und könnten mir sagen, was ich tun soll», aber sie hatte das Gefühl, darüber könnte er sich ärgern, da er ja offensichtlich nicht hier sein konnte. Aber es schadete sicher nicht, ihn zu fragen: «Was glauben Sie, wann Sie wieder in England sein werden?» Und mit diesem Zusatz wurde der Brief beendet und abgeschickt.
«Und um das Maß voll zu machen», sagte die Dekanin, «kommt heute auch noch dieser Mann zum Essen.»
«Dieser Mann» war Dr. Noel Threep, ein sehr würdevoller und bedeutender Herr, Professor an einem vornehmen College und Mitglied des Rats, dem das Shrewsbury unterstand. Freunde und Wohltäter dieser Art waren nicht selten im College zu Gast, und normalerweise freute sich die Hohe Tafel über ihren Besuch. Aber jetzt war der Augenblick kaum günstig zu nennen. Der Termin war jedoch schon Anfang des Trimesters festgelegt worden, und es war völlig unmöglich, Dr. Threep wieder auszuladen. Harriet meinte, sein Besuch könne sich vielleicht sogar vorteilhaft auswirken, indem er das Kollegium eine Weile von seinen Sorgen ablenke.
«Wollen wir’s hoffen», sagte die Dekanin. «Er ist ein reizender Mensch und versteht sehr interessant zu plaudern. Er ist Volkswirtschafler.»
«Hart oder weich?»
«Hart, glaube ich.»
Diese Frage bezog sich nicht auf Dr. Threeps politische oder wirtschaftliche Ansichten, sondern nur auf seine Hemdbrust. Harriet und die Dekanin waren dazu übergegangen, Hemdbrüste zu «sammeln». Das erste Stück in der Sammlung war Miss Chilperics Verlobter gewesen. Er war ungeheuer lang und dünn und ziemlich hohlbrüstig, und um diesen letzten Makel noch zu unterstreichen, trug er stets ein weiches, plissiertes Frackhemd, das ihm (nach den Worten der Dekanin) das Aussehen einer ausgehöhlten Melonenschale gab. Als Gegenstück dazu war einmal ein bedeutender und stattlicher Professor der Chemie von einer anderen Universität zu Besuch gewesen, dessen übermäßig hart gestärkte Hemdbrust sich wölbte wie bei einer Kropftaube, sich gar nicht unter Kontrolle bringen ließ und rechts und links das darunter befindliche Hemd zeigte. Eine dritte, vor allem bei Gelehrten häufig anzutreffende Hemdenvariante war die, bei der immer der mittlere Knopf aufsprang, so daß sie in der Mitte auseinanderklaffte; und an einem unvergeßlich schönen Tag war ein bekannter Dichter gekommen, um einen Vortrag über seine Verskunst und die Zukunft der Poesie zu halten, und bei jeder Geste (und er sprach sehr gestenreich) rutschte seine Weste hoch und ließ darunter ein Stück Hemd, verziert mit einer kleinen Schlaufe, über dem Hosenbund hervorlugen wie ein Karnickel. Bei dieser Gelegenheit hatten Harriet und die Dekanin sich sehr schlecht benommen.
Dr. Threep war ein großer, freundlicher und redseliger Herr, der auf den ersten Blick keinerlei Ansatz für Kritik an seinem Schneider zu bieten schien. Aber er saß noch keine drei Minuten am Tisch, als Harriet klar wurde, daß er dazu bestimmt war, eines der bemerkenswertesten Stücke in ihrer Sammlung zu bilden. Denn er knallte. Ob er sich über seinen Teller beugte, ob er sich umwandte, um den Senf weiterzureichen, ob er sich höflich seiner Nachbarin zuneigte, um zu hören, was sie sagte, jedesmal explodierte seine Hemdbrust mit einem lustigen kleinen ‹Plopp›, wie wenn ein Korken aus einer Flasche gezogen wurde. Der Lärm im Speisesaal schien an diesem Abend lauter zu sein als gewöhnlich, so daß die Knallerei beiderseits von ihm nur ein paar Plätze weit zu hören war, aber die Rektorin und die Dekanin, die rechts und links von ihm saßen, und Harriet, die ihm gegenübersaß, hörten sie; Harriet wagte nicht, die Dekanin anzusehen. Dr. Threep war zu wohlerzogen oder vielleicht zu verlegen, um dazu Stellung zu nehmen; er redete und redete unbeirrt und wurde dabei immer lauter, um sich durch den Lärm der Studentinnen hindurch verständlich zu machen. Die Rektorin runzelte die Stirn.
«– die ausgezeichneten Beziehungen zwischen den Frauencolleges und der Universität», sagte Dr. Threep. «Dennoch –»
Die Rektorin winkte ein Hausmädchen herbei, das sofort mit dem üblichen Spruch von Tisch zu Tisch ging:
«Einen schönen Gruß von der Rektorin, und sie wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie etwas weniger laut sein könnten.»
«Entschuldigen Sie, Dr. Threep. Ich habe Sie nicht ganz verstanden.»
«Trotzdem», wiederholte Dr. Threep, sich höflich hinüberneigend und vernehmlich knallend, «ist es merkwürdig,
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