Aufruhr in Oxford
Prediger in strenger Soutane und Beffchen über der akademischen Tracht; sein ruhiger, sanfter Diskurs, vorgetragen mit dünner, klarer Gelehrtenstimme, über die Beziehungen der christlichen Philosophie zur Atomphysik. Hier umarmten sich Universität und englische Hochkirche in Aufrichtigkeit und Frieden wie die Engel auf einer Geburt Christi von Botticelli: in exquisiten Gewändern, fröhlich auf eine ernste Weise, ein wenig gekünstelt, ein wenig befangen ob ihrer beiderseitigen gesitteten Höflichkeit. Hier konnten sie, ohne sich zu erhitzen, ihre gemeinsamen Probleme erörtern, sich freundlich einigen oder freundlich übereinkommen, daß man sich nicht einig war. Über die verzerrten, häßlichen Teufelsgestalten unten auf dem Bild hatten diese Engel kein Wort zu sagen. Welche Lösung hätte einer von ihnen auf Befragen für das Shrewsbury-Problem gehabt? Andere Institutionen wären da weniger gehemmt: die römische Kirche hätte ihre Antwort parat, geschliffen, kundig und erfahren; die eigenartigen, untereinander heftig zerstrittenen Sekten der Neuen Psychologie hätten eine andere: häßlich, unhandlich, suchend und mit leidenschaftlicher Experimentierwut angewandt. Es war recht unterhaltsam, sich eine Freudsche Universität in unauflöslicher Ehe mit einer römisch-katholischen Institution vorzustellen: Sie würden gewiß nicht so harmonisch zusammenleben wie die anglikanische Kirche und die Schule der Litterae Humaniores. Aber es war schön, wenigstens ein Stündchen lang zu glauben, daß alle menschlichen Schwierigkeiten in diesem Geiste der Abgeklärtheit und Liebenswürdigkeit zu überwinden seien. «Die Universität ist ein Paradies –» richtig, aber – «da sah ich denn, daß sogar noch vom Himmelstor ein Weg zur Hölle führt …»
Der Segen wurde gesprochen; das Schlußspiel brauste dahin – etwas Fugenartiges aus der Zeit vor Bach; die Prozession formierte und teilte sich von neuem und verließ die Kirche durch das nördliche und südliche Portal; die Gemeinde erhob sich und strebte in geordneter Unordnung auseinander. Die Dekanin, die frühe Fugen liebte, blieb still auf ihrem Platz, und Harriet saß verträumt neben ihr, den Blick auf die in sanften Farben bemalten Heiligen im Lettner geheftet. Schließlich standen beide auf und strebten zur Tür. Ein milder, reiner Windstoß empfing sie, als sie zwischen den gewundenen Säulen des Dr. -Owen’s-Portals hindurch ins Freie traten, so daß die Dekanin rasch nach ihrem unbotmäßigen Barett greifen mußte und ihre Talare sich zu großen, spiraligen Rundungen blähten. Der Himmel zwischen den sich auftürmenden Wolkenkissen war von einem blassen, durchscheinenden Aquamarin.
An der Ecke Catte Street stand eine Gruppe Talare in angeregtem Gespräch – unter ihnen zwei Professoren vom All Souls College und eine würdevolle Gestalt, die Harriet als den Rektor des Balliol College erkannte. Neben diesem stand ein weiterer Magister Artium, der sich, als Harriet und die Dekanin, über Kontrapunkt redend, vorübergingen, plötzlich umdrehte und sein Barett lüftete.
Einen langen Augenblick konnte Harriet ihren Augen einfach nicht trauen. Peter Wimsey. Ausgerechnet Peter! Peter, den sie in Warschau glaubte, stand da mit einer Selbstverständlichkeit an der High Street wie ein Baum, der dort schon immer gestanden hatte. Peter in Barett und Talar wie ein orthodoxer Magister Artium, und er sah ganz so aus, als ob er soeben fromm dem Universitätsgottesdienst beigewohnt hätte und nun eben noch ein bißchen mit zwei Professoren des All Souls College und dem Rektor des Balliol College fachsimpeln wollte.
Und warum nicht? dachte Harriet nach der ersten Schrecksekunde. Er ist ein Magister Artium. Er hat am Balliol studiert. Warum soll er sich nicht mit dem Rektor unterhalten, wenn er will? Aber wie ist er hierhergekommen? Und warum? Und wann? Und warum hat er mir nicht Bescheid gegeben?
Verwirrt ließ sie die allgemeine Vorstellung über sich ergehen und machte Lord Peter dann mit der Dekanin bekannt.
«Ich habe gestern aus London angerufen», sagte er, «aber Sie waren nicht da.» Und dann weitere Erklärungen, etwas von einem Flug von Warschau, von «meinem Neffen am Christ Church» und der «liebenswürdigen Gastfreundschaft des Rektors», und daß er ihr eine Nachricht ins College geschickt habe. Und dann hörte sie aus dem Schwall nichtiger Höflichkeiten einen Satz ganz klar heraus:
«Wenn Sie in der nächsten halben Stunde frei und im College
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