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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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sind, darf ich Sie besuchen?»
    «Ja, bitte», sagte Harriet matt, «das wäre schön.» Sie riß sich zusammen. «Es hat wohl nicht viel Sinn, Sie zum Mittagessen einzuladen?»
    Sie erfuhr, daß er bereits mit dem Rektor des Balliol und einem der Professoren vom All Souls zum Essen verabredet war. Es war, soweit sie es verstand, sogar ein offizielles kleines Essen unter Historikern, und es war die Rede von irgend jemandes Artikel in irgendeiner Publikation, den Wimsey sich «im All Souls mal eben ansehen» solle – «dauert keine zehn Minuten» –, worin es um den Druck und die Verbreitung irgendwelcher polemischer Pamphlete zur Reformationszeit ging, über die Wimsey bestens Bescheid wußte, der andere Professor genau Bescheid wußte und irgendein Geschichtsprofessor einer anderen Universität Bescheid zu wissen auf ungeschickte Weise vorgab.
    Dann löste sich die ganze Gruppe auf. Der Rektor lüftete sein Barett und entschwand, nachdem er Wimsey und den Historiker noch an das Essen um Viertel nach eins erinnert hatte; Peter sagte zu Harriet etwas wie «in zwanzig Minuten bei Ihnen» und verschwand mit den beiden Professoren im All Souls, und Harriet und die Dekanin gingen weiter.
    «Aha!» sagte die Dekanin. «Das ist er also.»
    «Ja», sagte Harriet kraftlos. «Das ist er.»
    «Was für ein reizender Mensch! Aber Sie haben mit keiner Silbe erwähnt, daß er nach Oxford kommen wollte.»
    «Das wußte ich ja selbst nicht. Ich dachte, er wäre in Warschau. Ich wußte nur, daß er irgendwann im Laufe dieses Trimesters seinen Neffen besuchen kommen wollte, aber ich hatte keine Ahnung, daß er sich schon so bald freimachen könnte. Eigentlich wollte ich ihn schon fragen – aber ich glaube nicht, daß er meinen Brief bekommen hat –»
    Sie hatte den Eindruck, daß ihre Erklärungsversuche mehr zur Verwirrung als zur Erhellung beitrugen. So schenkte sie der Dekanin schließlich reinen Wein ein.
    «Ich weiß nicht, ob er meinen Brief bekommen hat und schon Bescheid weiß, oder wenn nicht, ob ich es ihm sagen soll. Ich weiß, daß er absolut zuverlässig ist. Aber ob die Rektorin und das Kollegium – ich hatte nicht damit gerechnet, daß er einfach so hier aufkreuzen würde.»
    «Ich halte es für das klügste, was Sie tun konnten», sagte Miss Martin. «Im College würde ich nicht allzuviel darüber sagen. Bringen Sie ihn einfach mit, wenn er kommen will, und lassen Sie ihn unser Innerstes nach außen kehren. Ein Mann mit seinem Auftreten wickelt das gesamte Kollegium um den kleinen Finger. Wie gut, daß er Historiker ist – damit macht er sich bei Miss Hillyard beliebt.»
    «Ich habe ihn nie als Historiker gesehen.»
    «Immerhin hat er sein Examen mit einer Eins gemacht … wußten Sie das nicht?»
    Sie hatte es nicht gewußt. Sie hatte sich noch nicht einmal Gedanken darüber gemacht. Überhaupt hatte sie Wimsey noch nie bewußt mit Oxford in Verbindung gebracht. Das war genau wie mit seiner Diplomatentätigkeit. Wenn er ihre Gleichgültigkeit gekannt hätte, müßte sie ihm wohl weh getan haben. Sie sah sich jetzt als ein richtig undankbares, herzloses Ungeheuer.
    «Wie ich gehört habe, galt er als einer der Begabtesten seines Jahrgangs», fuhr die Dekanin fort. «A. L. Smith hielt große Stücke auf ihn. Auf eine Art ist es schon schade, daß er nicht bei der Geschichtswissenschaft geblieben ist – aber natürlich waren seine Hauptinteressen nicht akademischer Art.»
    «Nein», sagte Harriet.
    Die Dekanin hatte sich also erkundigt. Das war wohl nur zu erwarten. Mittlerweile konnte ihr wahrscheinlich das ganze Kollegium detaillierte Auskunft über Wimseys Universitätskarriere geben. Das war durchaus verständlich; sie dachten nun einmal in diesen Bahnen. Sie selbst aber hätte wenigstens die Energie aufbringen und sich zwei Minuten mit dem Almanach der Universität beschäftigen können.
    «Wohin soll ich mit ihm gehen, wenn er kommt? Ich fürchte, wenn ich ihn mit in mein Zimmer nehme, gebe ich den Studentinnen ein schlechtes Beispiel. Es ist ja auch ein bißchen beengt bei mir.»
    «Sie können mein Wohnzimmer haben. Da können Sie über diese gräßliche Geschichte viel besser mit ihm reden als in jedem der Gemeinschaftsräume. Ich frage mich ja nun wirklich, ob er Ihren Brief bekommen hat. Womöglich war das lebhafte Interesse in seinem durchdringenden Blick nur Ausdruck seines Argwohns gegen mich. Und ich hatte es schon der Ausstrahlung meiner Persönlichkeit zuschreiben wollen! Der Mann ist

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