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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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durchschauen würde, wenn sie nun darauf einzugehen versuchte und ihm irgend etwas Schmeichelhaftes sagte, was nicht der Wahrheit entsprach.
    «Ich habe die Stimme erkannt, bevor ich ihn mir überhaupt angesehen hatte. Und er hat Ihre Hände; ich kann mir nicht vorstellen, daß darüber schon jemand abfällig gesprochen hat.»
    «Zum Teufel auch, Harriet! Meine einzige wirklich schandbare Schwäche. Das bißchen Eitelkeit, das ich bisher so eifersüchtig gehütet habe, erbarmungslos ans Tageslicht gezerrt und bloßgelegt. Ja, ich bin idiotisch stolz darauf, die Hände der Wimseys geerbt zu haben. Meinem Bruder und meiner Schwester sind sie abhanden gekommen, aber sie lassen sich auf den Familienporträts dreihundert Jahre weit zurückverfolgen.» Sein Blick verdüsterte sich für einen kurzen Augenblick. «Es wundert mich, daß in all der Zeit nicht schon die ganze Kraft aus ihnen herausgezüchtet wurde; unsere Sanduhr läuft immer schneller ab. Harriet, werden Sie eines Tages mit mir nach Denver kommen und sich das Anwesen einmal ansehen, bevor die neue Zivilisation wie ein Dschungel darüber zusammenwächst? Ich will nicht sentimental darüber werden wie Galsworthy. Man wird Ihnen sagen, daß der ganze Laden mir keinen Pfifferling bedeutet, und so ist es wohl auch. Aber ich bin dort geboren, und es wird mir weh tun, wenn ich erleben muß, daß auf dem Grund und Boden Reihenhäuser entstehen und das Schloß selbst an einen Hollywoodkönig verkauft wird.»
    «Das würde doch Lord Saint-George nicht tun, oder?»
    «Ich weiß es nicht, Harriet. Warum nicht? Unsere Zeiten sind für immer vorbei. Was nützt der ganze Krempel einem heute noch? Aber vielleicht liegt ihm mehr daran, als er selbst glaubt.»
    «Ihnen liegt sehr daran, nicht wahr, Peter?»
    «Mir kann leicht an etwas liegen, denn von mir verlangt niemand, daß ich einen Handschlag dafür tue. Ich bin nur der sattsam bekannte Moralapostel mit der bewundernswerten Gabe, schwere Bürden zusammenzubinden und andern auf die Schulter zu legen. Glauben Sie nicht, daß ich meinen Neffen um seine Aufgabe beneide. Lieber lebe ich in Frieden und lege hinterher meine Knochen in die Erde. Nur hänge ich gottserbärmlich an bestimmten modrigen alten Werten, die ich dann aber auch noch feige verleugne wie mein Namensvetter im Evangelium. Ich meide mein Zuhause, so gut ich eben kann, und ich vermeide es auch, hierherzukommen; die Hähne krähen mir zu lange und zu laut.»
    «Peter, ich hatte keine Ahnung, daß Sie so empfinden. Ich möchte gern einmal Ihr Zuhause sehen.»
    «Ja? Dann fahren wir mal hin. Ich werde Ihnen nicht meine Familie auf den Hals hetzen – obwohl Ihnen meine Mutter gefallen würde, glaube ich. Aber wir wählen eine Zeit, wo sie alle fort sind – bis auf ein Dutzend harmloser Herzöge in der Familiengruft. Alle einbalsamiert, die armen Teufel, um bis zum Jüngsten Gericht dort zu verstauben. Ist das nicht typisch für die Familientradition, daß sie einen nicht einmal in Ruhe verfaulen läßt?»
    Harriet wußte nicht, was sie ihm darauf antworten sollte. Fünf Jahre hatte sie gegen ihn gekämpft und dabei nichts als seine Stärke festgestellt; jetzt hatte er ihr binnen einer halben Stunde alle seine Schwächen bloßgelegt, eine nach der andern. Und sie konnte nicht einmal ehrlich fragen: «Warum haben Sie mir das alles nicht schon eher gesagt?» Denn sie wußte ganz genau, welche Antwort sie darauf verdiente. Zum Glück schien er auch gar keinen Kommentar zu erwarten.
    «Du lieber Himmel!» rief er als nächstes. «Sehen Sie nur, wie die Zeit vergangen ist! Da haben Sie mich hier herumfaseln lassen, und wir haben noch kein Wort über Ihr Problem verloren.»
    «Ich fand es nur zu schön, es mal ein Weilchen vergessen zu können.»
    «Das kann ich mir vorstellen», sagte er, indem er sie nachdenklich ansah. «Hören Sie, Harriet, könnten wir heute nicht einfach Urlaub machen? Sie haben doch die Nase voll von dieser Geschichte. Lassen Sie sich zur Abwechslung von mir belästigen. Es wird Sie erleichtern – wie eine hübsche Erkältung im Austausch gegen Zahnschmerzen. Genauso scheußlich, aber mal was anderes. Ich muß zuerst noch zu diesem Essen gehen, aber das wird nicht lange dauern. Wie wär’s, wenn wir uns um drei an der Magdalen-Brücke einen Puntkahn nähmen?»
    «Auf dem Fluß wird es entsetzlich voll sein. Der Cherwell ist nicht mehr, was er einmal war, vor allem sonntags. Fast wie der Strand von Margate am Wochenende. Lauter Grammophone und

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