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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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finde es gräßlich.»
    Der Ernst, mit dem die Dekanin das sagte, brachte alle zum Lachen, und da es gerade Mitternacht schlug, rüstete man zum Aufbruch.
    «Ich wohne noch nicht im College», sagte Miss de Vine zu Harriet. «Kann ich Sie bis zu Ihrem Zimmer begleiten?»
    Harriet war einverstanden und fragte sich, was Miss de Vine ihr wohl zu sagen hatte. Sie traten zusammen auf den Neuen Hof. Der Mond schien am Himmel und tünchte die Mauern mit kaltem Schwarz und Silber, das sich in seiner Strenge gegen den gelben Glanz der erhellten Fenster abhob, hinter denen alte Freundinnen mit fröhlichem Schwatzen und Lachen ihr Wiedersehen feierten.
    «Es könnte mitten im Trimester sein», bemerkte Harriet.
    «Ja.» Miss de Vine lächelte versonnen. «Wenn Sie an den Fenstern lauschen könnten, würden Sie hören, daß es die mittleren Jahrgänge sind, die da reden. Die alten sind schon zu Bett gegangen und fragen sich, ob sie sich ebenso schlecht gehalten haben wie ihre Jahrgangskolleginnen. Sie haben den einen und anderen Schock erlitten, und die Füße tun ihnen weh. Und die jüngeren sprechen angeregt und ernst über das Leben und seine Pflichten. Nur die Vierzigjährigen versuchen so zu tun, als ob sie wieder Studentinnen wären, und finden es ziemlich anstrengend. Miss Vane – ich bewundere die Art, in der Sie heute abend gesprochen haben. Objektivität ist eine seltene Tugend, und sehr wenige Menschen finden sie liebenswert, weder bei sich selbst noch bei anderen. Wenn Sie je einen Menschen finden, der Sie trotzdem – oder mehr noch, deswegen – liebt, dann ist diese Liebe sehr kostbar, weil sie völlig aufrichtig ist und weil Sie selbst bei diesem Menschen nie etwas anderes zu sein brauchen als aufrichtig.»
    «Das ist sicher nur zu wahr», sagte Harriet, «aber warum sagen Sie das jetzt?»
    «Bestimmt nicht, um Sie zu kränken, glauben Sie mir das. Aber ich kann mir vorstellen, daß Sie schon vielen Menschen begegnet sind, die von dem Unterschied zwischen dem, was Sie empfinden und dem, was Sie ihrer Meinung nach empfinden sollten, sehr betroffen sind. Es ist tödlich, darauf auch nur die mindeste Rücksicht zu nehmen.»
    «Ja», sagte Harriet, «aber ich gehöre selbst zu denen. Ich bin selbst oft sehr betroffen, und ich weiß nie, was ich wirklich empfinde.»
    «Ich glaube, das spielt keine große Rolle, solange man nur nicht versucht, sich die vermeintlich richtigen Empfindungen einzureden.»
    Sie hatten den Alten Hof erreicht, und die alten Buchen, die altehrwürdigsten aller Institutionen am Shrewsbury College, warfen ihre stets wechselnden, gesprenkelten Schatten über sie, verwirrender als Dunkelheit.
    «Aber man muß sich doch irgendwie entscheiden», sagte Harriet. «Und woher soll man, wenn es einen so und so verlangt, wissen, was wirklich von bezwingender Wichtigkeit ist?»
    «Das wissen wir erst», sagte Miss de Vine, «wenn es uns bezwungen hat.»
    Das Schattenmuster fiel von ihnen ab wie die silbernen Glieder einer Kette. Eine nach der anderen schlugen die Uhren von allen Türmen Oxfords die Viertelstunde, eine klingende Kaskade freundschaftlicher Meinungsverschiedenheit. Miss de Vine wünschte Harriet an der Tür zum Burleigh-Bau eine gute Nacht und entschwand, eine gebeugte Gestalt mit langen Schritten, durch den Torbogen unter dem Speisesaal.
     
    Eine merkwürdige Frau, dachte Harriet, und von außerordentlichem Scharfsinn. Harriets ganze persönliche Tragödie war daraus erwachsen, daß sie sich «die richtigen Empfindungen eingeredet» hatte gegenüber einem Mann, dessen Gefühle ebenfalls den Aufrichtigkeitstest nicht bestanden hatten. Und ihr ganzer späterer Wankelmut entsprang aus der festen Entschlossenheit, nie mehr den Willen zu einer Empfindung für die Empfindung selbst zu halten. «Was von wirklich bezwingender Wichtigkeit ist, wissen wir erst, wenn es uns bezwungen hat.» Gab es überhaupt etwas, das inmitten ihrer Unschlüssigkeiten seinen festen Platz behauptet hatte? Doch, ja; sie war bei ihrer Arbeit geblieben – und dies angesichts scheinbar überwältigender Gründe, sie aufzugeben und statt dessen etwas anderes zu tun. Ja, und heute abend hatte sie zwar gute Gründe für diese Treue angeführt, ihr selbst aber war es nie notwendig erschienen, eine Begründung dafür anzugeben. Sie hatte geschrieben, was zu schreiben sie sich berufen fühlte, und wenn sie auch allmählich das Gefühl bekam, daß sie dies vielleicht noch besser machen könnte, hatte sie doch nie daran

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