Aufruhr in Oxford
zwischen Tradition und Fortschritt zu wahren – sofern das Fortschritt ist. Der Autorität als solcher wird heutzutage herzlich wenig Respekt engegengebracht, und im Grunde ist das wahrscheinlich gut so, obschon die Leitung einer Institution wie dieser dadurch schwieriger wird. Sie möchten doch sicher eine Tasse Kaffee? Nein, wirklich – ich trinke immer selbst eine um diese Zeit. Annie! – Ich glaube, ich höre unser Hausmädchen im Anrichteraum – Annie! Könnten Sie bitte eine zweite Tasse für Miss Vane bringen?»
Harriet war eigentlich mit Essen und Trinken schon reichlich bedient, aber sie nahm höflich die Stärkung an, die das adrett gekleidete Hausmädchen brachte. Als die Tür wieder zu war, ließ sie eine Bemerkung über das Personal am Shrewsbury College fallen, das sich seit ihrer Zeit sehr gebessert habe, und bekam noch einmal das Loblied der neuen Quästorin zu hören.
«Ich fürchte allerdings», fügte Miss Lydgate hinzu, «daß wir Annie aus diesem Trakt verlieren werden. Miss Hillyard findet sie zu selbständig; und sie ist auch vielleicht ein wenig zerstreut. Aber die Arme ist Witwe und hat zwei Kinder, und es dürfte eigentlich nicht sein, daß sie arbeiten gehen muß. Ihr Mann hatte eine ziemlich gute Stellung, glaube ich, aber dann hat der Ärmste den Verstand verloren oder so was Ähnliches und ist gestorben oder hat sich erschossen, jedenfalls irgend etwas Tragisches in der Art, und sie stand bettelarm da und mußte nehmen, was sie kriegen konnte. Die beiden kleinen Mädchen sind bei Mrs. Jukes untergebracht – Sie erinnern sich sicher an Mr. und Mrs. Jukes, die zu Ihrer Zeit Pförtner an der St. Cross Road waren. Sie wohnen jetzt in der St. Aldate’s, so daß Annie sie zum Wochenende besuchen kann. Das ist schön für sie und bedeutet eine kleine Nebeneinnahme für Mrs. Jukes.»
«Ist Jukes schon in Rente? Er war doch noch nicht so alt, oder?»
«Der arme Jukes», sagte Miss Lydgate, und ihr freundliches Gesicht umwölkte sich. «Er hat sich eine dumme Geschichte eingebrockt, und wir mußten ihn entlassen. Leider muß ich sagen, er war nicht ganz ehrlich. Aber wir haben ihm eine Stelle als Aushilfsgärtner besorgt», fuhr sie schon etwas fröhlicher fort, «wo er nicht so vielen Versuchungen in Gestalt von Paketen und dergleichen ausgesetzt ist. Er war ja ein sehr fleißiger Mann, aber dann hat er bei Pferderennen gewettet und kam natürlich bald in Schwierigkeiten. Für seine Frau war das so traurig.»
«Sie war eine gute Seele», pflichtete Harriet ihr bei.
«Es hat sie furchtbar mitgenommen», fuhr Miss Lydgate fort.
«Und Jukes auch, alles was recht ist. Regelrecht zusammengebrochen ist er, und es war schon eine traurige Szene, als die Quästorin ihm sagte, daß er gehen müsse.»
«J-a-a», machte Harriet. «Jukes’ Zunge lief schon immer wie geschmiert.»
«Oh, aber ich bin sicher, daß es ihm wirklich leid tat, was er gemacht hatte. Er hat uns erklärt, wie er da hineingeschlittert ist und eins zum andern kam. Es hat uns allen sehr weh getan. Vielleicht der Dekanin nicht – aber sie hatte Jukes nie besonders leiden können. Jedenfalls haben wir seiner Frau ein kleines Darlehen gegeben, um seine Schulden zu bezahlen, und das haben sie ehrlich mit ein paar Shilling wöchentlich zurückgezahlt. Und nachdem er jetzt wieder auf der geraden Bahn ist, hoffe ich, daß er auch darauf bleibt. Natürlich konnten wir ihn unmöglich hierbehalten. Uns wäre dabei nie ganz wohl gewesen, und man muß einem Pförtner schon völlig vertrauen können. Padgett, den wir jetzt haben, ist sehr zuverlässig und recht lustig. Sie müssen sich von der Dekanin mal ein paar von Padgetts ulkigen Sprüchen erzählen lassen.»
«Er sieht aus wie die Ehrlichkeit in Person», sagte Harriet.
«Das macht ihn vielleicht nicht so beliebt. Jukes war bestechlich – wenn man abends zu spät kam und so.»
«Dieses ungute Gefühl hatten wir auch», sagte Miss Lydgate.
«Für einen nicht durch und durch charakterstarken Menschen ist dieser Posten natürlich viel zu verantwortungsvoll. Sicher macht Jukes dort, wo er jetzt ist, seine Sache viel besser.»
«Agnes ist auch nicht mehr hier, wie ich sehe.»
«Stimmt – zu Ihrer Zeit war sie hier erstes Mädchen. Nein, sie ist nicht mehr da. Die Arbeit fiel ihr allmählich zu schwer, und da hat sie gekündigt. Ich bin froh, sagen zu dürfen, daß wir noch eine kleine Rente für sie herausquetschen konnten – nur eine Kleinigkeit, aber wie Sie wissen,
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