Aufruhr in Oxford
Sie ganz gewiß recht», sagte die Dekanin. «Was in den Zeitungen darüber stand, hat mir mehr als genügt.»
«Und», sprach Harriet weiter zu Miss Barton, «Sie sehen den Mörder auch nicht bei der Tat. Sie sehen ihn erst, nachdem er gefaßt wurde und im Gefängnis sitzt, ein Bild des Jammers. Aber der Mörder von Wilvercombe war ein raffinierter, habgieriger Rohling und durchaus bereit, immer weiter zu morden, wenn ihm nicht das Handwerk gelegt worden wäre.»
«Das ist ein unwiderlegliches Argument dafür, ihnen das Handwerk zu legen», sagte Phoebe, «ganz gleich, was die Justiz danach mit ihnen macht.»
«Trotzdem», meinte Miss Stevens, «ist es nicht ein bißchen kaltschnäuzig, den Mörderfang als intellektuelle Übung zu betrachten? Für die Polizei mag das ja angehen – es ist ihre Pflicht.»
«Dem Gesetz nach», sagte Harriet, «ist es die Pflicht eines jeden Bürgers – wenn das die meisten auch nicht wissen.»
«Und dieser Wimsey», sagte Miss Barton, «der das als Steckenpferd zu betreiben scheint – betrachtet er es als Pflicht oder als intellektuelle Übung?»
«Das weiß ich nicht sicher», antwortete Harriet, «aber sehen Sie, für mich war es ganz gut, daß er dieses Steckenpferd hat. Die Polizei hatte sich in meinem Fall geirrt – ich werfe es ihr nicht vor, aber sie hatte sich geirrt –, und ich bin froh, daß ich ihr nicht ganz ausgeliefert war.»
«Das war sehr nobel gesprochen», meinte die Dekanin. «Wenn man mich für etwas vor Gericht stellte, was ich nicht getan hätte, würde ich Feuer spucken.»
«Es ist mein Beruf, Indizien abzuwägen», sagte Harriet, «und ich kann nicht umhin, die Beweisführung der Polizei als korrekt anzuerkennen. Das ist nämlich eine Frage von a + b = c. Nur daß in diesem Falle ein unbekannter Faktor im Spiel war.»
«Wie dieses Ding, das in der modernen Physik immer wieder auftaucht», sagte die Dekanin. «Das Plancksche Wirkungsquantum oder wie sie das nennen.»
«Auf jeden Fall», sagte Miss de Vine, «ist das wichtigste die Feststellung der Fakten, egal was sich daraus ergibt oder wie man dazu stehen mag.»
«Ja», sagte Harriet, «das ist der springende Punkt. Ich meine, es ist eine Tatsache, daß ich den Mord nicht begangen hatte, so daß meine Gefühle nichts zur Sache tun. Wenn ich der Mörder gewesen wäre, hätte ich mich dazu wahrscheinlich vollauf berechtigt gefühlt und mich über die Art und Weise meiner Behandlung empört. So aber halte ich es nach wie vor für unverzeihlich, jemanden mit Gift qualvoll zu Tode zu bringen. Die Unannehmlichkeiten, die ich dadurch hatte, waren reines Pech, wie wenn jemand vom Dach fällt.»
«Ich muß mich wohl dafür entschuldigen, daß ich das Thema zur Sprache gebracht habe», sagte Miss Barton. «Es ist beachtlich, daß Sie so offen darüber reden.»
«Es macht mir nichts aus – nicht mehr. Kurz nachher wäre das noch anders gewesen. Aber diese schreckliche Geschichte von Wilvercombe ließ mir doch alles in gänzlich neuem Licht erscheinen – indem ich die andere Seite zu sehen bekam.»
«Erzählen Sie mal», sagte die Dekanin, «dieser Lord Peter – wie ist er eigentlich?»
«Meinen Sie sein Aussehen – oder wenn man mit ihm arbeitet?»
«Nun, wie er aussieht, weiß man ja mehr oder weniger. Recht nett und ziemlich arrogant. Nein, ich meine als Mensch.»
«Ziemlich kurzweilig. Er kann eine ganze Unterhaltung allein bestreiten, wenn es sein muß.»
«Ein kleiner Bruder Lustig, der einen immer aufzurichten versteht – ja?»
«Ich habe ihn einmal bei einer Hundeausstellung gesehen», mischte Miss Armstrong sich überraschend ein. «Da spielte er regelrecht den Hanswurst.»
«Dann hat er sich entweder schrecklich gelangweilt, oder er war auf einer Spur», sagte Harriet lachend. «Diese frivole Stimmung kenne ich, und meist ist sie Tarnung – man weiß nur nicht immer, für was.»
«Es muß wohl etwas dahinterstecken», sagte Miss Barton, «denn offenbar ist er ja hochintelligent. Aber ist das nur Intelligenz, oder sind da auch echte Gefühle dabei?»
«Mangel an Gefühlen», sagte Harriet, indem sie nachdenklich in ihre leere Kaffeetasse starrte, «kann ich ihm nicht unterstellen. Ich habe ihn schon sehr betroffen erlebt, zum Beispiel wenn er einen Mörder überführt hatte, der ihm eigentlich sympathisch war. Aber er ist in Wirklichkeit ziemlich in sich gekehrt, trotz dieser irreführenden Art.»
«Vielleicht ist er schüchtern», meinte Phoebe Tucker freundlich. «Das ist bei
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