Aufruhr in Oxford
Trümmerlandschaft warf. Sie nahm den Hausschuh aus der Kommode neben der Tür und gab ihn ihm. Er legte sich flach auf den Boden und blickte schräg über die Stelle auf dem Teppich, auf die gestern abend weder sie noch er getreten hatte. Seine Hand griff in die Tasche, und er lächelte von unten in ihr sorgenvolles Gesicht.
«Wenn alle Federn, die Dichter je in Händen hielten, die Gedanken ihrer Herren in sich hätten, könnten sie nicht so viele sichere Fakten niederschreiben, wie man mit einem Zirkel messen kann.» Er maß den Absatz des Hausschuhs in beiden Richtungen und widmete seine Aufmerksamkeit dann dem Trümmerhaufen auf dem Teppich. «Hier hat sie gestanden, die Füße zusammen, und sich das angeschaut.» Der Meßzirkel wanderte blitzend über das sonnenbeschienene Rechteck. «Und hier ist der Absatz, der Schönheit zu Staub zerstampfte und zertrat. Das eine war ein schmaler französischer, das andere ein breiter Blockabsatz.» Er setzte sich auf und klopfte mit dem Zirkel leicht auf die Sohle des Hausschuhs. «Wer da? Frankreich – zieht weiter, Frankreich, alles ist in Ordnung.»
«Bin ich froh!» sagte Harriet inbrünstig. «Bin ich froh!»
«Ja. Gehässigkeit gehört nicht zu unsern Tugenden, wie?» Er richtete seinen Blick wieder auf den Teppich, diesmal dicht am Rand.
«Sehen Sie! Jetzt, da die Sonne scheint, kann man es sehen. Hier hat die Dame mit dem Blockabsatz sich die Schuhe abgestreift, bevor sie ging. Mustergültiges Benehmen. Na ja, das erspart es uns, mühselig im ganzen College den Staub von Königen und Königinnen zu suchen.» Er pflückte den Elfenbeinsplitter von dem schmalen französischen Absatz, steckte den Hausschuh in die Tasche und stand auf. «Den sollten wir nun lieber mit einer Unschuldsbescheinigung an seine Besitzerin zurückschicken.»
«Geben Sie ihn mir. Ich muß ihn ihr selbst bringen.»
«Nein, das tun Sie nicht. Wenn sich hier jemand Unannehmlichkeiten aussetzt, sind es diesmal nicht Sie.»
«Aber, Peter, Sie werden doch nicht –»
«Nein», sagte er, «das werde ich nicht. Sie können sich ganz auf mich verlassen.»
Harriet blieb allein zurück und durfte sich die Trümmer ihres Schachspiels besehen. Nach einer kleinen Weile ging sie hinaus, fand in der Besenkammer Handfeger und Schaufel und ging zurück, um die Scherben aufzuwischen. Als sie Handfeger und Schaufel wieder zurückbrachte, begegnete sie auf dem Flur einer der Studentinnen aus dem Anbau.
«Ach, sagen Sie, Miss Swift», sprach Harriet sie an, «Sie haben nicht zufällig gestern Abend einen Krach in meinem Zimmer gehört, der sich anhörte, als wenn Glas zerschlagen würde? Irgendwann während des Abendessens oder danach?»
«Nein, Miss Vane. Ich war den ganzen Abend in meinem Zimmer. Aber einen Moment. Miss Ward ist gegen halb zehn zu mir gekommen, weil wir zusammen Morphologie lernen wollten, und –» die Studentin verzog den Mund zu einem Lachen – «sie hat gefragt, ob Sie wohl heimlich Karamel naschen, weil es aus Ihrem Zimmer so klänge, als ob Sie Karamel mit dem Schürhaken zerschlügen. Hatten Sie Besuch vom Collegegespenst?»
«Leider ja», sagte Harriet. «Danke. Das war ein nützlicher Hinweis. Ich muß Miss Ward einmal sprechen.»
Miss Ward konnte ihr jedoch auch nicht viel weiter helfen und nur den Zeitpunkt etwas genauer auf «keinesfalls später als halb zehn» fixieren.
Harriet bedankte sich und ging. Vor lauter Rastlosigkeit schienen ihr sämtliche Knochen weh zu tun – oder kam das daher, daß sie so unruhig und in einem ungewohnten Bett geschlafen hatte? Die Sonne hatte das nasse Gras im Hof mit Diamanten übersät, und der Wind schüttelte den Regen in kurzen Schauern dicker Tropfen von den Buchen. Studentinnen kamen und gingen. Jemand hatte ein rotes Kissen die ganze Nacht im Regen liegen lassen; es war durchgeweicht und bot einen traurigen Anblick; seine Besitzerin kam und hob es mit einer Mischung von Belustigung und Ekel auf und warf es zum Trocknen auf eine Bank.
Das Nichtstun war unerträglich. Noch unerträglicher aber wäre es gewesen, von einem Mitglied des Kollegiums angesprochen zu werden. So war sie in den Alten Hof verbannt, denn auf den bloßen Anblick des Neuen Hofes reagierte sie wie jemand, der frisch geimpft ist und auf der wunden Körperseite jede Berührung meidet. Ohne bestimmtes Ziel oder Vorhaben spazierte sie um den Tennisplatz herum und trat in den Eingang zur Bibliothek. Sie hatte nach oben gehen wollen, aber als sie die Tür zu Miss de
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