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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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mit wildem Blick über die Magdalen-Brücke gegangen sein und «mit den Händen gefuchtelt» haben sollte, weckte unangenehme Erinnerungen in ihr. Sie fühlte Peters Hand an ihrem Hals wie ein Eisenband und hörte ihn gelassen, wie aus einem Lehrbuch vortragend, sagen:
    « Das ist die gefährliche Stelle. Wenn man hier die Halsschlagader abdrückt, tritt fast augenblicklich Bewußtlosigkeit ein, und dann sind Sie erledigt.»
    Und als seine Daumen ganz kurz zugedrückt hatten, waren vor ihren Augen Funken gestoben.
    Sie fuhr erschrocken herum, als etwas an der Tür rüttelte. Wahrscheinlich war im Korridor das Fenster auf, und der Wind wehte herein. Ihre Nervosität wurde schon lächerlich.
    Die Schnalle widersetzte sich steif ihren Fingern. (Ist dein Diener ein Hund, daß er solches tun soll?) Als sie sich im Spiegel sah, mußte sie lachen. «Ihr Hals hat etwas Lilienhaftes, was an sich schon zur Gewalttätigkeit reizt.» Ihr eigenes Gesicht im abendlichen Dämmerlicht überraschte sie – abgespannt und angstvoll, ohne alle Farbe, mit unnatürlich großen Augen unter den dichten schwarzen Brauen, die Lippen leicht geöffnet. Es war wie der Kopf eines Enthaupteten; das dunkle Halsband trennte ihn vom Körper wie des Henkers Stahl.
    Ob ihr Geliebter dieses Gesicht wohl so gesehen hatte, damals in dem bewegten, unglücklichen Jahr, als sie zu glauben versucht hatte, das Glück liege in der Selbstaufgabe? Armer Philip – ein Opfer seiner eigenen Eitelkeiten; er, der sie erst liebte, nachdem er in ihr alles Gefühl für ihn getötet hatte, und sich mit lebensgefährlichem Griff an sie klammerte, als er in den Sumpf des Todes sank. Sie hatte sich weniger Philip ergeben als einer Lebenstheorie. Junge Menschen waren immer für Theorien anfällig; erst später erkannten sie die tödliche Gefährlichkeit von Prinzipien. Sein Ich seinen eigenen Zielen unterzuordnen, mochte gefährlich sein, es den Zielen anderer unterzuordnen, war todbringend. Und doch gab es auch jene noch Unglücklicheren, die einem selbst diesen bitteren Geschmack des Sodomsapfels neideten.
    Konnte es denn je ein Bündnis zwischen Geist und Fleisch geben? Es war doch dieses ewige Infragestellen und Analysieren, das alle Leidenschaft steril und lächerlich machte. Vielleicht bot Erfahrung eine Formel zur Überwindung dieser Schwierigkeit an: Man sorgte dafür, daß der unbarmherzige, bohrende Verstand auf der einen Seite der Mauer blieb, der schmachtend-süße Körper auf der andern, und daß beide nie zusammenkamen. Dann konnte man, wenn man so geartet war, in den akademischen Zirkeln Oxfords über Loyalitäten diskutieren und sich ansonsten mit – zum Beispiel Wiener Sängerinnen – amüsieren und der Welt auf beiden Seiten eine vollkommen glatte Oberfläche bieten. Für einen Mann war das leicht, möglich sogar für eine Frau, wenn man dumme Pannen vermied, sich zum Beispiel nicht wegen Mordes vor Gericht stellen ließ. Aber was unvereinbar war, zu einem Kompromiß zusammenzwingen zu wollen, war Wahnsinn; das sollte man weder tun noch ihm Vorschub leisten. Wenn Peter dieses Experiment machen wollte, mußte er es ohne Harriet machen. Sechs Jahrhunderte Besitzanspruch im Blut ließen sich nicht von bloßen fünfundvierzig Jahren überzüchtetem Intellekt befehlen. Sollte das Männchen das Weibchen nehmen und zufrieden sein; der rastlose Verstand mochte derweil Reden führen wie der Held in Shaws Mensch und Übermensch. Natürlich in einem langen Monolog, denn das Weibchen konnte ja nur zuhören, ohne etwas beizutragen. Sonst würde daraus ein Paar wie in Noel Cowards Privatleben , das sich auf dem Boden wälzte und aufeinander einschlug, wenn es sich nicht gerade umarmte, weil es (offenbar) nichts miteinander zu reden hatte. So oder so stand zermürbende Langeweile in Aussicht.
    Die Tür rappelte wieder, wie zur Ermahnung, daß selbst ein bißchen Langeweile eine willkommene Abwechslung von Angst und Aufruhr sein konnte. Auf dem Kaminsims höhnte ein einsamer roter Bauer jeglichem Gefühl von Sicherheit … Wie ruhig hatte Annie doch Peters Warnung aufgenommen! Nahm sie das ernst? Gab sie auf sich acht? Als sie heute abend im Dozentenzimmer den Kaffee serviert hatte, war sie still und vornehm gewesen wie immer – vielleicht hatte sie sogar etwas fröhlicher ausgesehen als sonst. Natürlich, sie hatte ja ihren freien Nachmittag mit Beatie und Carola gehabt … Eigenartig, dachte Harriet, dieses Verlangen, Kinder zu haben und ihnen die eigenen Ansichten

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