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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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sagen.»
    Er versprach ihr erneut, zu kommen, und wünschte ihr gute Nacht. Harriet schloß den Hausschuh und den Elfenbeinsplitter gewissenhaft ein, ging zur Quästorin und bekam ein Bett im Krankenrevier angewiesen.

21. Kapitel
    Und so sie wartet, bis der Abend fällt.
Doch kein lebend Wesen läßt sich sehen.
Und nun verhüllen Schatten trüb die Welt
Vor Menschenaugen; doch sie gönnt den wehen,
müden Armen wohlverdiente Ruhe nicht,
Aus Angst vor heimlicher Gefahr, noch läßt
Sie Schlaf die schweren Lider ihr erquicken.
Geschwind verbirgt sie sich vor fremden Blicken,
Die spitze Waffe unters Kleid gepreßt.
    EDMUND SPENSER
     
    Harriet sagte an der Pforte Bescheid, daß sie Lord Peter Wimsey im Dozentengarten erwarte. Sie hatte zeitig gefrühstückt und war dadurch Miss Hillyard aus dem Weg gegangen, die einem zornigen Schatten gleich über den Neuen Hof huschte, während sie mit Padgett sprach.
    Sie hatte Peter in einer Zeit kennengelernt, als grausame Umstände alle körperlichen Gefühle in ihr abgetötet hatten; dank diesem unglücklichen Zufall hatte sie ihn von Anfang an nur als einen Verstand gesehen, der in irgendeinem Körper wohnte. Nie – auch nicht später in diesem sinnenbetörenden Augenblick auf dem Fluß – hatte sie in ihm hauptsächlich den Mann gesehen oder in seinem halbverschleierten Blick, dem beweglichen, breiten Mund oder den eigentümlich vitalen Händen die darin liegende Verheißung erfaßt. Und da er sie stets nur gebeten und nie etwas von ihr gefordert hatte, war die einzige Dominanz, der sie sich je bewußt geworden war, die seines Intellekts gewesen. Aber als er jetzt über den von Blumenbeeten gesäumten Weg auf sie zukam, sah sie ihn mit neuen Augen – mit den Augen der Frauen, die ihn gesehen hatten, bevor sie ihn kannten – sah ihn, wie sie, dynamisch. Miss Hillyard, Miss Edwards, Miss de Vine, die Dekanin sogar – sie alle hauen, jede auf ihre Art, dasselbe erkannt: sechs Jahrhunderte Besitzanspruch, vom Joch der Liebenswürdigkeit gezähmt. Sie selbst hatte es, als sie es so schamlos und unbeherrscht bei seinem Neffen sah, sogleich als das erkannt, was es war; jetzt konnte sie sich nur wundern, daß sie bei dem Älteren so lange blind dafür gewesen war und sich ihm immer noch so stark widersetzte. Und sie fragte sich, ob es bloßer Zufall gewesen war, daß sie ihre Augen so lange davor verschlossen hatte, bis die Erkenntnis kam, zu spät um eine Katastrophe anzurichten.
    Sie blieb sitzen, wo sie saß, bis er vor ihr stand und auf sie herabsah.
    «Nun?» fragte er leichthin. «Wie geht’s, mein Käthchen? Herz, so melancholisch? … Ja, es ist etwas passiert, das sehe ich. Was ist es, Domina?» Obwohl sein Ton halb scherzhaft war, hätte nichts sie mehr beruhigen können als diese feierliche akademische Anrede. Sie antwortete, als ob sie ihre Schulaufgaben aufsagte:
    «Als Sie gestern abend fort waren, ist Miss Hillyard mir im Neuen Hof begegnet. Sie bat mich, mit ihr in ihr Zimmer zu gehen, weil sie mit mir sprechen wolle. Auf dem Weg nach oben sah ich ein Stückchen weißes Elfenbein unter ihrem Hausschuh kleben. Sie – hat einige recht unerfreuliche Vorwürfe gegen mich erhoben; sie hatte die Situation mißverstanden –»
    «Das kann und wird richtiggestellt werden. Haben Sie etwas über den Hausschuh gesagt?»
    «Leider ja. Noch ein Elfenbeinsplitter lag auf dem Boden. Ich habe ihr vorgeworfen, in mein Zimmer gegangen zu sein, was sie abstritt, bis ich ihr den Beweis zeigte. Dann gab sie es zu; sie behauptet aber, der Schaden sei schon angerichtet gewesen, als sie hinkam.»
    «Haben Sie ihr das geglaubt?»
    «Ich hätte es ihr wohl geglaubt … wenn … wenn sie mir nicht gezeigt hätte, daß sie ein Motiv hatte.»
    «Aha. Gut. Sie brauchen es mir nicht zu sagen.»
    Sie sah zum erstenmal auf, und sein Gesicht war so eisig wie ein Wintertag. Sie wurde unsicher.
    «Ich habe den Hausschuh mitgenommen. Jetzt wäre mir lieber, ich hätte es nicht getan.»
    «Haben Sie neuerdings Angst vor Fakten?» fragte er. «Sie, eine Jüngerin der Wissenschaft?»
    «Ich glaube nicht, daß ich es aus Bosheit getan habe. Hoffentlich nicht. Aber ich war ausgesprochen unfreundlich zu ihr.»
    «Tatsachen bleiben zum Glück Tatsachen», sagte er, «und daran ändert Ihr Gemütszustand keinen Deut. Gehen wir jetzt und versuchen, die Wahrheit zu ergründen, koste es, was es wolle.»
    Sie führte ihn in ihr Zimmer, durch dessen Fenster die Morgensonne ein helles Rechteck auf die

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