Aufruhr in Oxford
Waschen und Kochen für die Familie und Kartoffelhacken und Viehfüttern zugebracht hätten, wüßten Sie, daß so etwas das Rasiermesser stumpf macht. Glauben Sie ja nicht, daß ich Leute wie Sie nicht um ihr leichtes Leben beneide! Ich beneide Sie. Ich bin aus reiner Sentimentalität zu diesem Fest gekommen, und jetzt wäre es mir lieber, ich wäre daheim geblieben. Ich bin zwei Jahre älter als Sie, aber ich sehe aus, als wenn es zwanzig wären. Meine Interessen sind für Sie alle ohne Belang, und die Ihren kommen mir vor wie Spiegelfechtereien. Sie scheinen alle mit der Wirklichkeit des Lebens nichts mehr gemein zu haben. Sie laufen wie im Traum herum.» Sie verstummte, und die Verärgerung schwand aus ihrer Stimme. «Aber es ist auf seine Art ein schöner Traum. Es will mir jetzt sonderbar vorkommen, daß ich selbst einmal zu dieser Gelehrtenwelt gehört haben soll … Aber ich weiß nicht. Vielleicht haben Sie doch recht. Bildung und Literatur überleben in gewisser Weise die Kultur, die sie geschaffen hat.»
« Das Wort und sonst nichts
überdauert die Zeit.
Nicht du wirst,
hingegangen und verstummt,
bestehen,
wohl aber die flinke
Laute und Viole » ,
zitierte Harriet. Sie blickte abwesend hinaus in den Sonnenschein.
«Es ist merkwürdig – ich habe nämlich gerade genau dasselbe gedacht – nur in einem anderen Zusammenhang. Sehen Sie, ich bewundere Sie ja zutiefst, und trotzdem meine ich, daß Sie völlig unrecht haben. Ich bin überzeugt, daß jeder seine Arbeit tun sollte, und sei sie noch so trivial, anstatt sich zwingen, eines anderen Arbeit zu tun, und sei diese noch so erhaben.»
Während sie das sagte, mußte sie an Miss de Vine denken; dies hier war auch eine Form, sich etwas einzureden.
«Das mag ja richtig sein», erwiderte Mrs. Bendick. «Aber es kommt doch vor, daß man die Arbeit eines anderen heiratet.»
Allerdings; aber Harriet wurde die Chance geboten, eine Arbeit zu heiraten, die der ihren so nahestand, daß es fast kein Unterschied war. Und so viel Geld zu heiraten, daß jede Arbeit ohnehin unwichtig wurde. Wieder sah sie sich unverdientermaßen mit Vorteilen gesegnet, nach denen andere, würdigere, vergebens strebten.
«Dann nehme ich an», sagte sie, «daß der eigentlich wichtige Beruf die Ehe ist, nicht wahr?»
«Ja, so ist es», antwortete Mrs. Bendick. «Meine Ehe ist glücklich, wie Ehen eben sind. Aber oft frage ich mich, ob mein Mann nicht mit einer anderen Frau besser gefahren wäre. Er sagt so etwas nie, aber ich frage es mich selbst. Ich glaube, er weiß, daß ich bestimmte Dinge … vermisse, und manchmal stört ihn das. Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das alles sage – ich habe es noch nie einem Menschen gesagt, und eigentlich habe ich Sie nie sehr gut gekannt.»
«Nein, und ich war nicht einmal sehr verständnisvoll. Ich war sogar ausgesprochen unhöflich.»
«Ja, ein wenig», sagte Mrs. Bendick. «Aber Sie sind es mit einer sehr schönen Stimme.»
«Du lieber Himmel!» sagte Harriet.
«Unser Hof liegt an der Grenze nach Wales, und die Leute reden dort alle in diesem häßlichen Singsang. Wissen Sie, was mir hier das größte Heimweh macht? Die kultivierte Sprache. Das gute alte, vielgeschmähte Oxford-Englisch. Ist das nicht komisch?»
«Mich erinnerte der Krach im Speisesaal eher an einen Käfig voller Pfauen.»
«Ja, aber außerhalb des Speisesaals kann man sich die Leute heraussuchen, die richtig sprechen. Das tun natürlich nicht viele, aber manche. Sie zum Beispiel. Und Sie haben dazu so eine hübsche Stimme. Erinnern Sie sich noch an unsern alten Bach-Chor?»
«Und ob! Bekommen Sie denn dort im Grenzland keine Musik zu hören? Die Waliser können doch singen!»
«Für Musik habe ich nicht viel Zeit. Ich versuche es den Kindern beizubringen.»
Harriet benutzte diese Gelegenheit, sich in angemessener Form nach der Familie zu erkundigen. Endlich verabschiedete sie sich von Mrs. Bendick mit dem Gefühl, einen Derby-Favoriten zwischen den Deichseln eines Kohlenwagens gesehen zu haben.
Das sonntägliche Mittagessen war eine zwanglose Angelegenheit. Viele nahmen gar nicht daran teil, weil sie sich in der Stadt verabredet hatten. Die daran teilnahmen, kamen wie und wann sie wollten, holten sich ihr Essen an der Servierluke ab und verzehrten es in schwatzenden Grüppchen, wo immer sie einen Sitzplatz fanden. Harriet hatte sich gerade eine Portion gekochten Schinken geholt und sah sich um, zu wem sie sich setzen könnte, als sie zu ihrer
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