Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
Vom Netzwerk:
Blätter in Vallombrosa!
    Ich hoffe so sehr, Sie nächsten Donnerstag wiederzusehen, und bin
    mit besten Grüßen
Ihre Letitia Martin»
     
    Das war ja eine schöne Bescherung! Genau das, was dem Frauenstudium schwersten Schaden zufügen konnte – nicht nur in Oxford, sondern überall. Natürlich lief man in jeder Gemeinschaft Gefahr, auch unerfreuliche Zeitgenossen zu beherbergen; aber sicherlich würden Eltern nicht besonders darauf erpicht sein, ihre jungen Unschuldslämmer irgendwohin zu schicken, wo psychologische Merkwürdigkeiten unkontrolliert gediehen. Selbst wenn diese Schmähkampagne nicht in die offene Katastrophe führte (und man wußte nie, wohin Menschen sich durch so etwas treiben ließen), wäre das Waschen schmutziger Wäsche in der Öffentlichkeit nicht gerade dazu angetan, das Shrewsbury College aufzuwerten. Denn mochten auch neun Zehntel des Schmutzes ungezielt geworfen sein, das übrige Zehntel konnte, wie es meist der Fall war, durchaus vom tiefsten Grund des Brunnens der Wahrheit heraufgeholt sein, und das würde hängenbleiben.
    Wer wußte das besser als sie? Sie lächelte gequält über den Brief der Dekanin. «Uns Ihre Erfahrung zugute kommen zu lassen» – aber ja! Natürlich waren diese Worte in vollkommener Unschuld geschrieben worden, ohne den geringsten Argwohn, daß der geschundene Gaul darunter zucken könnte. Miss Martin selbst würde nicht im Traum daran denken, jemandem Schmähbriefe zu schreiben, der von der Anklage des Mordes freigesprochen worden war, und so war es ihr zweifellos nicht in den Sinn gekommen, daß eine solche Bitte, gerichtet an die berüchtigte Miss Vane, der Rede vom Strick im Haus des Gehenkten gleichkam. Dies war nur ein Beispiel für die weltfremde Taktlosigkeit, zu der gelehrte und zurückgezogen lebende Frauen wohl neigten. Die Dekanin wäre entsetzt gewesen, hätte sie gewußt, daß Harriet Vane der allerletzte Mensch war, den man in dieser Frage hätte angehen dürfen, da ihr selbst, sogar in Oxford, ja direkt im Shrewsbury College – Ja, im Shrewsbury College, und sogar bei der Jahresfeier. Das war es. Dieser Brief, den sie in ihrem Ärmel gefunden hatte, war ihr im Shrewsbury College bei der Jahresfeier zugesteckt worden. Und nicht nur das; da war auch noch diese Zeichnung, die sie auf dem Hof aufgelesen hatte. War eines davon – oder beides – nur Teil ihres eigenen erbärmlichen Krieges mit der Welt? Oder mußte man sie eher im Zusammenhang mit den späteren Vorfällen im College sehen? Es klang unwahrscheinlich, daß es am Shrewsbury College so kurz hintereinander gleich zwei giftspritzende Irre geben sollte. Aber wenn es sich in beiden Fällen um ein und dieselbe Person handelte, war die Schlußfolgerung fürchterlich, und dann mußte sie um jeden Preis eingreifen, zumindest sagen, was sie wußte. Es gab solche Augenblicke, in denen alle persönlichen Gefühle dem Dienst an der Allgemeinheit geopfert werden mußten, und allem Anschein nach war dies ein solcher Augenblick.
    Widerstrebend griff sie zum Telefon und meldete ein Gespräch nach Oxford an. Während sie darauf wartete, bedachte sie die Angelegenheit in diesem neuen Licht. Die Dekanin hatte ihr keine genaueren Angaben über die Schmähbriefe gemacht, nur daß sie auf einen Groll gegen den Lehrkörper schließen ließen und der Urheber zum College gehören mußte. Es war nur natürlich, daß dieser gefährliche Unfug den Studentinnen zugeschrieben wurde; aber die Dekanin wußte nicht, was Harriet wußte. Der fehlgeleitete, unterdrückte Geist vermochte sich durchaus gegen sich selbst zu richten. «Angesäuerte Jungfräulichkeit» – «unnatürliches Leben» – «halbverrückte alte Jungfern» – «unerfüllte Begierden und verdrängte Triebe» – «ungesunde Atmosphäre»; sie konnte sich solche eingängigen Redensarten reihenweise ausdenken. War es das, was im Turm auf dem Hügel wohnte. War er am Ende so etwas wie Lady Athaliahs Turm in Frolic Wind, ein Hort von Frustration, Perversion und Wahnsinn? «Und hast du das eine Auge, so ist dein Körper voll Licht» – aber war es überhaupt möglich, so einäugig zu sein? «Was wollen Sie mit denen anfangen, die mit beidem gestraft sind, Herz und Hirn?» Für die war das stereoskopische Sehen wahrscheinlich eine Notwendigkeit; und für wen nicht? (Dies war ein etwas albernes Spiel mit Worten, aber es hatte Sinn.) Nun, und wie stand es dann mit der Entscheidung für den einen oder den anderen Lebensweg? Mußte man am Ende doch den

Weitere Kostenlose Bücher