Aufruhr in Oxford
Briefe zu diskutieren, geschweige über die Frage, was so alles in akademischen Elfenbeintürmen herumkrauchte. Entschlossen legte sie den Hörer auf die Gabel zurück und schob das Telefon von sich.
Als sie am andern Morgen aufwachte, hatte sie sich’s anders überlegt. Sie hatte gesagt, daß persönliche Gefühle dem Dienst an der Allgemeinheit nicht im Wege stehen dürften, und so war es. Wenn Wimsey dem Shrewsbury College nützlich sein konnte, sollte sie sich seiner bedienen. Ob es ihr gefiel oder nicht und ob sie sein «Ich hab’s ja gesagt» ertragen könnte oder nicht, sie würde ihren Stolz hintanstellen und ihn fragen, wie sie an diese Geschichte am besten heranging. Sie nahm ein Bad und zog sich an und wärmte sich derweil an dem Gefühl ihrer selbstlosen Hingabe an die Sache der Wahrheit. Sie ging ins Wohnzimmer, nahm ein herzhaftes Frühstück zu sich und beglückwünschte sich dabei immer noch. Nachdem sie mit Toast und Orangenkonfitüre abgeschlossen hatte, kam ihre Sekretärin und brachte die Morgenpost. Darunter war eine eilig hingekritzelte Nachricht von Peter, gestern abend am Victoria-Bahnhof aufgegeben:
«Bin wieder kurzfristig ins Ausland geschickt worden. Zuerst Paris, dann Rom. Weiß der Himmel, was dann. Wenn Sie mich brauchen sollten – per impossibile – können Sie mich über die Botschaften erreichen, ansonsten wird die Post alle an meine Adresse in Piccadilly gerichteten Briefe nachsenden.
Auf jeden Fall werden Sie am 1. April von mir hören.
P. D. B. W.»
Post occasio calva. Es ging natürlich nicht an, die Botschaften mit Briefen über eine undurchsichtige kleine Geschichte an einem Oxforder College zu bombardieren, zumal der Adressat in ganz Europa umherschwirrte und Wichtigeres zu tun hatte. Und der Ruf ins Ausland mußte wirklich dringend gewesen sein, denn die Nachricht war eilig und schludrig geschrieben und sah genaugenommen so aus, als ob sie im letzten Moment im Taxi hingekritzelt worden wäre. Harriet amüsierte sich eine Zeitlang mit der Frage, ob vielleicht der Fürst von Ruritanien erschossen worden war oder der Meisterganove des Kontinents einen neuen Coup gelandet hatte oder es sich um eine internationale Verschwörung zur Vernichtung der Zivilisation mittels Todesstrahlen handelte – lauter Situationen, wie sie dauernd in ihren Romanen auftauchten. Doch worum es auch gehen mochte, sie würde die Sache jedenfalls ohne Hilfe anpacken müssen und sich nur mit dem schönen Gefühl ihrer geistigen Unabhängigkeit trösten können.
5. Kapitel
Jungfräulichkeit ist, wie Bonaventura es nennt, ein schönes Sinnbild, etwas in sich selbst Heiliges und, wenn man den Papisten glaubt, Verdienstvolles. Und mag es für diese Menschen auch gewisse Unbequemlichkeiten, Ärgernisse, Einsamkeiten und dergleichen geben … , so sind sie doch eigentlich nur eitler Tand und leicht zu ertragen, verglichen mit den unablässigen Beschwerden der Ehe … Und mir scheint, daß sich früher oder später einmal unter so vielen reichen Junggesellen ein Wohltäter finden sollte, der ein klösterliches College für alte, hinfällige, verwachsene oder unzufriedene Jungfern baut, darin zusammenzuleben; solche, die ihre erste Liebe verloren haben oder auf andere Weise gescheitert oder aus welchen Gründen auch immer gewillt sind, ein lediges Leben zuführen. Das übrige, sage ich, ist eitler Tand dagegen und wird reichlich vergütet durch die unzählbaren Befriedigungen und unvergleichlichen Privilegien der Jungfräulichkeit.
ROBERT BURTON
Harriet fuhr durch einen häßlichen Schneeregen, der sogar durch die Ritzen des Allwetterverdecks drang und die Scheibenwischer unablässig in Arbeit hielt, auf Oxford zu. Einen größeren Gegensatz zu ihrer letzten Reise vom vorigen Juni hätte es gar nicht geben können; am größten aber war der Unterschied in ihren Gefühlen. Damals war sie zögernd und voll Unbehagen hingefahren – eine verlorene Tochter, nur ohne Schweinehirtenromantik und des gemästeten Kalbes gar nicht sicher. Nun war es das College, das Flecken auf der Weste hatte und sie herbeirief, wie man einen Spezialisten herbeiruft, ohne groß nach privater Moral zu fragen, nur im verzweifelten Vertrauen auf sein Können. Das Problem selbst bedeutete ihr nicht einmal viel, und sie hatte keine große Hoffnung, es zu lösen; aber sie konnte es jetzt eben als ein bloßes Problem betrachten, eine Arbeit, die es zu erledigen galt. Letzten Juni hatte sie sich an jeder Wegmarke
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