Aufruhr in Oxford
beunruhigenderen Weise.
Schluchzend und brausend hatte der Februar tränenreichen Abschied genommen und war dem März gewichen, als sie einen Brief von der Dekanin bekam.
«Liebe Miss Vane,
ich schreibe Ihnen, um zu fragen, ob Sie am nächsten Donnerstag zur Eröffnung der Neuen Bibliothek durch den Kanzler vielleicht nach Oxford kommen können. Wie Sie wissen, war dieser Tag von Anfang an für die offizielle Einweihung vorgesehen, obschon wir gehofft hatten, das Gebäude bereits zu Beginn dieses Trimesters in Gebrauch nehmen zu können. Aber dann wurden die Arbeiten durch einen Krach in der Baufirma und eine sehr ungelegene Erkrankung des Architekten so hinausgezögert, daß wir jetzt gerade noch rechtzeitig fertig werden. Genaugenommen ist die Innendekoration des Erdgeschosses noch immer nicht fertig – aber wir konnten Lord Oakapple schlecht bitten, den Termin zu verschieben, wo er doch so ein vielbeschäftigter Mann ist; und das wichtigste ist schließlich die Bibliothek und nicht die Dozentenappartements, so dringend die Ärmsten auch eine Bleibe brauchen.
Uns ist – und hier spreche ich sowohl für Dr. Baring wie für mich selbst – ganz besonders an Ihrem Kommen gelegen, wenn Sie die Zeit dafür erübrigen können (obwohl Sie sicherlich viele Verpflichtungen haben). Wir hätten nämlich gern Ihren Rat in einer höchst unerfreulichen Angelegenheit, die sich hier zugetragen hat. Zwar erwartet niemand von einer Kriminalschriftstellerin, daß sie auch in der Praxis eine Kriminalistin ist, aber ich weiß, daß Sie schon einmal an einem richtigen Fall mitgearbeitet haben, und bin überzeugt, daß Sie von der Jagd auf Bösewichter sehr viel mehr verstehen als wir.
Glauben Sie nun bitte nicht, wir würden hier in unsern Betten ermordet! Auf eine Art bin ich allerdings nicht sicher, ob ein netter, sauberer Mord nicht leichter anzugehen wäre. Die Sache ist die, daß wir von einem Mittelding zwischen Poltergeist und Schmähbriefschreiber verfolgt werden, und Sie können sich denken, wie widerwärtig das für uns alle ist. Die Briefe kommen offenbar schon seit einiger Zeit, aber anfangs hat niemand davon besonders Notiz genommen. Ich nehme an, daß jeder Mensch irgendwann einmal anonyme Schmähbriefe bekommt; und obschon diese häßlichen Dinger zum Teil nicht mit der Post gekommen sind, wäre es in einer Einrichtung wie dieser nicht zu verhindern, daß jemand sie an der Pforte oder gar auf dem Collegegelände selbst hinterlegt. Mutwillige Sachbeschädigung ist jedoch wieder etwas anderes, und der letzte Vorfall dieser Art war so abscheulich, daß jetzt wirklich etwas unternommen werden muß. Die Englische Prosodie der armen Miss Lydgate – Sie haben das Kolossalwerk ja in Arbeit gesehen – wurde auf widerlichste Weise beschmutzt und verstümmelt, einige wichtige Teile sogar völlig vernichtet, so daß sie gänzlich neu geschrieben werden müssen. Die arme Miss Lydgate hat fast geweint – und das Erschreckende ist, daß es nun auch noch so aussieht, als ob der Übeltäter jemand aus dem College sein müsse. Wir nehmen an, daß irgendeine Studentin einen Groll gegen den Lehrkörper hat – allerdings muß es schon mehr als ein Groll sein – es sieht vielmehr nach einer gräßlichen Form von Verrücktheit aus.
Die Polizei kann man kaum hinzuziehen – wenn Sie ein paar von diesen Briefen gesehen hätten, könnten Sie verstehen, daß wir so wenig wie möglich davon in die Öffentlichkeit dringen lassen wollen, und Sie wissen ja, wie so etwas sich herumspricht. Ich nehme sicher an, daß Sie diese gehässige Meldung vom vorigen November über das Feuer im Hof gelesen haben. Wir haben übrigens nie herausbekommen, wer das war; natürlich hatten wir das nur für einen dummen Streich gehalten, aber jetzt beginnen wir uns zu fragen, ob es nicht auch schon Teil der Kampagne war.
Wenn Sie also die Zeit erübrigen und uns Ihre Erfahrung zugute kommen lassen könnten, wären wir Ihnen überaus dankbar. Es muß einenWeg geben, dieser Dinge Herr zu werden – diese Plage darf einfach nicht weitergehen ! Aber es ist ungeheuer schwierig, an einem Ort wie diesem hier, wo hundertfünfzig Studentinnen herumlaufen und Tag und Nacht überall sämtliche Türen offenstehen, etwas Handfestes nachzuweisen.
Ich fürchte, dies ist ein ziemlich unzusammenhängender Brief, aber ich bin einfach derart fertig, jetzt wo die Eröffnung bevorsteht und die ganzen Zugangspapiere und Stipendienanträge um mich herumschwirren wie die
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