Aufruhr in Oxford
nichts. Offenbar in dem Gefühl, etwas zu weit gegangen zu sein, fügte die Quästorin hinzu:
«Ich verdächtige niemanden. Ich will nur sagen, daß solche Behauptungen nicht ohne Beweis aufgestellt werden sollten.»
Harriet gab ihr darin recht und ging, nachdem sie die einschlägigen Namen auf der Liste der Quästorin angezeichnet hatte, die Schatzmeisterin aufsuchen.
Miss Allison holte einen Plan hervor und zeigte ihr die Lage der von den einzelnen Personen bewohnten Zimmer.
«Ich hoffe, das bedeutet, daß Sie die Ermittlungen selbst vornehmen wollen», sagte sie. «Ich meine nicht, daß wir von Ihnen verlangen dürfen, für so etwas Ihre Zeit zu opfern. Aber ich bin nachdrücklich der Meinung, daß die Anwesenheit bezahlter Detektive im College höchst unangenehm wäre, mögen sie noch so diskret vorgehen. Ich diene diesem College jetzt schon seit etlichen Jahren, und seine Interessen liegen mir sehr am Herzen. Sie wissen, wie wenig wünschenswert es wäre, daß ein Außenstehender in so eine Geschichte eingeweiht würde.»
«O ja, sehr», antwortete Harriet. «Trotzdem, gehässige oder geistesverwirrte Angestellte sind ein Unglück, das überall vorkommen kann. Das wichtigste ist jedenfalls, so schnell wie möglich auf den Grund dieses Rätsels zu kommen; und ein paar geschulte Detektive könnten das bestimmt sehr viel besser als ich.»
Miss Allison sah sie nachdenklich an und schwenkte ihre Brille langsam an ihrem goldenen Kettchen hin und her.
«Ich sehe, daß Sie zur bequemsten Theorie neigen. Das tun wir wahrscheinlich alle. Aber es gibt ja auch noch die andere Möglichkeit. Wohlgemerkt, ich verstehe sehr wohl, daß Sie aus Ihrer Sicht nicht gern Anteil an der Bloßstellung einer Angehörigen unseres Kollegiums hätten. Aber wenn es dazu käme, würde ich Ihrem Takt eher vertrauen als dem eines außenstehenden professionellen Detektivs. Und Sie haben den Vorsprung, die Funktionsweise des Collegesystems zu kennen, was sehr von Vorteil ist.»
Harriet sagte, sie werde wahrscheinlich besser wissen, was sie zu raten habe, wenn sie sich erst einmal einen vorläufigen Überblick über die Umstände verschafft habe.
«Wenn Sie», sagte Miss Allison, «eine solche Untersuchung doch in Angriff nehmen, sollte man Sie fairerweise vorher warnen, daß Sie auf Widerstand stoßen könnten. Es wurde schon gesagt – aber das sollte ich Ihnen vielleicht doch lieber nicht erzählen.»
«Das müssen Sie selbst beurteilen.»
«Es wurde schon gesagt, daß die Einengung des Verdächtigenkreises auf die in der heutigen Besprechung genannte Grenze ausschließlich auf Ihre Behauptung zurückgeht. Ich spreche natürlich von den beiden Zetteln, die Sie bei der Jahresfeier gefunden haben.»
«Aha. Soll ich die etwa erfunden haben?»
«Ich glaube nicht, daß jemand so weit gehen würde. Aber Sie haben gesagt, daß Sie selbst hin und wieder ähnliche Briefe bekommen. Damit soll wohl gemeint sein, daß –»
«Daß ich die Briefe und so weiter, die ich hier gefunden haben will, selbst mitgebracht haben muß? Das wäre durchaus denkbar, nur daß sie im Stil so sehr diesen anderen gleichen. Immerhin muß ich einräumen, daß nur mein Wort dafür steht.»
« Ich zweifle nicht eine Sekunde daran. Man sagt allerdings, daß Ihre Erfahrung in solchen Dingen – wenn überhaupt – von Nachteil sei. Entschuldigen Sie. Das sage natürlich nicht ich .»
«Genau aus diesem Grunde wollte ich so ausgesprochen ungern etwas mit der Aufklärung zu tun haben. Es stimmt nämlich vollkommen. Ich habe keineswegs ein untadeliges Leben geführt, und darüber können Sie nicht einfach hinwegsehen.»
«Wenn Sie mich fragen», sagte Miss Allison, «ist gerade das untadelige Leben einiger Leute in mancher Hinsicht zu tadeln. Ich bin nicht hinterm Mond, Miss Vane. Zweifellos war mein Leben insoweit untadelig, wie von Sünden größeren Stils die Rede ist. Aber es gibt Dinge, über die ich von Ihnen ein ausgewogeneres Urteil erwarten würde als von gewissen Leuten hier. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen, oder?»
Harriets nächster Besuch galt Miss Lydgate. Sie ging unter dem Vorwand hin, zu fragen, was sie mit den in ihrem Besitz befindlichen verstümmelten Korrekturbögen machen solle. Sie traf die Englischprofessorin beim geduldigen Korrigieren eines Stapels Studentenaufsätze an.
«Herein, herein», rief Miss Lydgate gutgelaunt. «Ich bin hiermit fast fertig. Ach so, meine armen Korrekturbögen? Ich fürchte, die können mir nicht mehr viel
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