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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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weitermachte, warum hatte sie dann die Vorhänge zugezogen? Die Fenster hatten deshalb Vorhänge bekommen, weil eine Bibliothek, deren Fenster nach Süden liegen, einen Schutz gegen starke Sonneneinstrahlung braucht. Aber es wäre unsinnig von der Bibliothekarin, sich und ihr pflichtgemäßes Tun mitten in einer dunklen Märznacht vor Blicken zu schützen. Solche Geheimniskrämerei betrieb man in Colleges sonst nicht. Da war also etwas los. Sollte sie nun hingehen und auf eigene Faust nach dem Rechten sehen, oder sollte sie sonst noch jemanden aus dem Bett werfen?
    Eines war klar: Wenn dort hinter den Vorhängen ein Mitglied des Dozentinnenkollegiums sein Unwesen trieb, war es unschicklich, eine Studentin als Zeugin der Entdeckung mitzunehmen. Welche Professorinnen schliefen im Tudor? Ohne die Liste zu konsultieren, erinnerte Harriet sich, daß Miss Barton und Miss Chilperic dort Zimmer hatten, aber am anderen Ende des Gebäudes. Da bot sich jedenfalls eine Gelegenheit, wenigstens diese beiden zu überprüfen. Nach einem letzten Blick auf das Bibliotheksfenster eilte Harriet rasch zurück, an ihrem Zimmer über dem Schwibbogen vorbei und weiter ins Hauptgebäude. Sie schalt sich, weil sie keine Taschenlampe bei sich hatte; die Suche nach Lichtschaltern hielt sie auf. Den Flur entlang, an der Treppe vorbei und nach links. Auf diesem Flur wohnten keine Dozentinnen; es mußte ein Stockwerk tiefer sein. Also zurück, die Treppe hinunter und wieder nach links. Sie ließ alle Lichter hinter sich brennen und fragte sich, ob dies in den anderen Gebäuden Aufmerksamkeit erregen werde. Endlich. An einer Tür zur Linken stand «Miss Barton». Und die Tür stand offen.
    Harriet klopfte energisch an und trat ein. Das Wohnzimmer war leer. Dahinter stand auch die Schlafzimmertür offen. «Großer Gott!» sagte Harriet. «Miss Barton!» Keine Antwort; und als sie hineinsah, war das Schlafzimmer ebenso leer wie das Wohnzimmer. Das Bettzeug war zurückgeschlagen, und in dem Bett war geschlafen worden; aber die Schläferin hatte es verlassen und war fortgegangen.
    Eine harmlose Erklärung bot sich ganz leicht an. Harriet hielt einen Moment inne und überlegte; dann rief sie sich ins Gedächtnis, daß das Fenster dieses Zimmers auf den Hof blickte. Die Vorhänge waren zurückgezogen; sie spähte in die Dunkelheit hinaus. Das Licht schien immer noch im Bibliotheksfenster; aber während sie noch schaute, ging es aus.
    Sie rannte zum Fuß der Treppe zurück und in die Eingangshalle. Die Haustür war nur angelehnt. Sie zog sie auf und eilte auf den Hof hinaus. Im Laufen sah sie plötzlich etwas vor sich auftauchen. Sie rannte darauf zu und holte es ein. Es packte sie mit sehnigem Griff.
    «Wer ist das?» fragte Harriet böse.
    «Und wer ist das ?»
    Eine Hand ließ los, und eine Taschenlampe schien in Harriets Gesicht.
    «Miss Vane! Was machen Sie denn hier?»
    «Miss Barton? Sie suche ich. Ich habe Licht in der Neuen Bibliothek gesehen.»
    «Ich auch. Ich wollte gerade nach dem Rechten sehen. Die Tür ist abgeschlossen.»
    «Abgeschlossen?»
    «Und der Schlüssel steckt innen.»
    «Kommt man nicht auf einem anderen Weg hinauf?» fragte Harriet.
    «Doch, natürlich. Daran hätte ich gleich denken sollen. Am Speisesaal vorbei und durch die belletristische Abteilung. Kommen Sie mit!»
    «Moment», sagte Harriet. «Der oder die Betreffende könnte noch drinnen sein. Bewachen Sie den Haupteingang, damit dort niemand entwischt. Ich gehe durch den Speisesaal.»
    «Ganz recht. Gute Idee. Halt! Haben Sie keine Taschenlampe? Dann nehmen Sie lieber meine. Sie verlieren sonst zuviel Zeit mit Lichteinschalten.»
    Harriet nahm die Taschenlampe an sich und lief los, wobei sie angestrengt nachdachte. Miss Bartons Angaben klangen glaubhaft. Sie war aufgewacht (warum?), hatte das Licht gesehen (sehr wahrscheinlich schlief sie bei zurückgezogenen Vorhängen) und war hinausgegangen, um nachzusehen, während Harriet noch in den oberen Korridoren umherirrte und das richtige Zimmer suchte. Inzwischen hatte der oder die Unbekannte in der Bibliothek entweder das Werk, das sie tun wollte, beendet oder, was wahrscheinlicher war, einen Blick nach draußen geworfen und zu ihrem Schrecken im Tudor-Bau die Lichter angehen sehen. Daraufhin hatte sie das Licht ausgeknipst. Zum Haupteingang war sie nicht herausgekommen; entweder befand sie sich noch irgendwo im Bibliotheksflügel, zu dem auch der Speisesaal gehörte, oder sie hatte sich über die Treppe am Speisesaal

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