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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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hinauf, wo sie allmählich schwächer wurden und endeten. Eine dritte Spur fand sie nicht; aber wahrscheinlich hatten die Fußabdrücke der Einbrecherin Zeit genug zum Trocknen gehabt. Die Betreffende mußte sich spätestens kurz nach Mitternacht an die Arbeit gemacht haben. Die Farbe war ziemlich wild umhergespritzt; wenn es möglich gewesen wäre, das ganze College nach farbbeschmierten Kleidern zu durchsuchen, schön und gut. Aber das würde einen furchtbaren Skandal aufrühren. Miss Hudson – hatte sie irgendwo Farbkleckse gehabt? Harriet glaubte es nicht.
    Sie sah sich erneut um und bemerkte zu ihrer Überraschung, daß alle Lichter brannten und die Vorhänge zurückgezogen waren. Wenn jemand aus einem der anderen Gebäude herüberschaute, lag das ganze Innere des Saales vor ihm wie eine beleuchtete Bühne. Sie löschte das Licht und zog sorgfältig die Vorhänge zu, bevor sie es wieder anknipste.
    «Aha», sagte sie. «Verstehe. So war das gedacht. Die Vorhänge blieben zu, solange sie bei der Arbeit war. Dann wurden die Lampen gelöscht und die Vorhänge zurückgezogen. Dann entwischte die ‹Künstlerin› und ließ die Türen verschlossen. Morgens würde alles von außen ganz normal aussehen. Wer hätte als erstes hier hereinzukommen versucht? Ein Hausmädchen, um noch ein letztes Mal sauberzumachen? Sie hätte die Tür verschlossen gefunden und, weil sie gedacht hätte, Miss Burrows habe das veranlaßt, wahrscheinlich nichts unternommen. Miss Burrows wäre dann vermutlich als erste heraufgekommen. Wann? Kurz nach der Morgenandacht, oder kurz davor. Sie hätte nicht hineingekonnt. Mit der Schlüsselsuche wäre Zeit vergangen. Wenn endlich jemand hereingekommen wäre, hätte die Zeit nicht mehr gereicht, um Ordnung zu schaffen. Alle wären sie dagewesen. Der Kanzler –?»
    Miss Burrows wäre als erste heraufgekommen. Sie war hier auch als letzte fortgegangen, und sie war diejenige, die am besten wußte, wohin die Farbeimer gestellt worden waren. Könnte sie ihr eigenes Werk zerstört haben – wie Miss Lydgate ihre eigenen Umbruchbögen zerstört haben könnte? Wie haltbar war diese These, psychologisch gesehen? Gewiß würde doch jemand alles andere vernichten, nur nicht seine eigene Arbeit! Wenn nun aber einer so schlau war und wußte, daß die Leute dies dächten, würde er prompt dafür sorgen, daß gerade seine eigene Arbeit in Mitleidenschaft gezogen wurde.
    Harriet ging langsam in der Bibliothek hin und her. Auf dem Parkett war eine große Farbpfütze. Und an deren Rand – oh ja! Es könnte sich wohl lohnen, das College nach farbverschmutzter Kleidung abzusuchen. Aber hier zeigte sich deutlich, daß die Übeltäterin nichts an den Füßen getragen hatte. Warum sollte sie überhaupt etwas angehabt haben? Die Heizkörper in dieser Etage arbeiteten auf Hochtouren, und vollkommene Hüllenlosigkeit wäre hier nicht nur taktisch klug, sondern auch sehr bequem gewesen.
    Und wie war diese Person entkommen? Weder Miss Hudson (sofern ihr zu trauen war) noch Harriet war auf dem Weg nach oben jemandem begegnet. Aber zur Flucht war mehr als genug Zeit gewesen, nachdem die Lichter gelöscht waren. Wenn eine Gestalt sich still und heimlich unter dem Torbogen des Speisesaals davongeschlichen hätte, wäre sie von der anderen Seite des Hofs nicht zu sehen gewesen. Oder davon abgesehen, hätte sich auch jemand ohne weiteres im Speisesaal versteckt halten können, während Harriet sich auf dem Gang mit Miss Hudson unterhielt.
    «Das habe ich wohl ein bißchen verpfuscht», sagte Harriet.
    «Ich hätte das Licht im Speisesaal anknipsen sollen, um mich zu vergewissern.»
    Miss Barton kam mit der Dekanin zurück, die einen Blick um sich warf und «Um Gottes willen!» ausrief. Sie wirkte mit ihrem langen roten Zopf und dem gesteppten blauen, mit grünen und roten Drachen verzierten Morgenmantel wie ein beleibter kleiner Mandarin. «Wie idiotisch von uns, nicht damit zu rechnen! Es lag doch so auf der Hand. Wenn wir nur auf die Idee gekommen wären, hätte Miss Burrows doch abschließen können, bevor sie ging. Und was machen wir jetzt ?»
    «Mein erster Vorschlag», sagte Harriet, «heißt Terpentin. Und mein zweiter Padgett.»
    «Sie haben vollkommen recht, meine Liebe. Padgett macht das schon. Er vermag alles, wie die Liebe. Welch ein Glück, daß Sie beide gemerkt haben, was da vor sich ging! Sobald wir diese ekligen Inschriften entfernt haben, können wir die Wand mit schnelltrocknender Farbe übermalen oder

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