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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Neuland!”
    Zuweilen kam mir auch der Gedanke, selbst zu ihr zu gehen, “ihr alles zu gestehen” und sie anzuflehen, nicht zu mir zu kommen. Aber in diesem Augenblick, bei diesem Gedanken stieg in mir eine solche Wut auf, daß ich diese “verfluchte” Lisa einfach vernichtet hätte, wäre sie zufällig in meiner Nähe gewesen, daß ich sie beleidigt, angespuckt, hinausgeworfen, geschlagen hätte!
    Inzwischen verging der erste Tag, ein zweiter und ein dritter – sie kam immer noch nicht, und ich begann mich zu beruhigen. Ich faßte Mut und wurde wieder munter, besonders nach neun, ja ich begann sogar wieder zu träumen, und zwar recht hübsch: “Ich rette Lisa zum Beispiel gerade dadurch, daß sie mich besucht und ich zu ihr spreche … Ich erziehe, ich bilde sie. Ich sehe schließlich, daß sie mich liebt, daß sie mich leidenschaftlich liebt. Ich tue, als merke ich nichts (warum ich das tue, weiß ich übrigens selbst nicht, wahrscheinlich weil es schöner ist). Schließlich stürzt sie, verwirrt und schön, bebend und schluchzend mir zu Füßen und sagt mir, daß ich ihr Retter sei, daß sie mich mehr als alles auf der Welt liebe. Ich bin erstaunt, aber … Lisa, sage ich, glaubst du wirklich, daß ich deine Liebe nicht bemerkt hätte? Alles habe ich gesehen, alles habe ich erraten, aber ich habe es nicht gewagt, als erster um dein Herz zu werben, weil ich von meinem Einfluß auf dich wußte und deshalb fürchtete, daß du dich vielleicht nur aus Dankbarkeit, um meine Liebe zu erwidern, mit Gewalt zu einem Gefühl zwingen würdest, das du vielleicht gar nicht hast, das aber wollte ich vermeiden, denn das ist … despotisch … Das wäre unzart (kurz, ich verlor hier den Boden unter den Füßen vor lauter europäischer George-Sandscher unaussprechlich edler Feinheit ). Aber jetzt, jetzt bist du mein, mein Geschöpf, du bist rein, schön, du bist mein wundervolles Weib.
    Und in mein Haus zieh stolz und frei
    Du, seine rechte Herrin, ein!
    Dann leben wir in aller Herrlichkeit los, fahren ins Ausland usw. usw.” Mit einem Wort, es wurde selbst mir zuwider, und ich schloß damit, daß ich mir selbst die Zunge herausstreckte.
    “Man läßt sie ja überhaupt nicht gehen, die Hure!” dachte ich, “man läßt sie nicht besonders gerne aus dem Haus, glaube ich, abends schon gar nicht (aus irgendeinem Grunde glaubte ich, daß sie bestimmt am Abend kommen würde, und zwar gerade um sieben Uhr). Allerdings hat sie mir gesagt, daß sie sich dort noch nicht endgültig verkauft hat und besondere Vorrechte genießt; hm! Hol’s der Teufel, dann wird sie kommen, dann wird sie unbedingt kommen!”
    Es war noch ein Glück, daß Apollon mich während dieser Zeit durch seine Dreistigkeit ablenkte. Er brachte mich um meine letzte Fassung! Er war mein Verderben, eine Geißel Gottes, die von der Vorsehung geschwungen wurde. Wir lagen dauernd im Krieg miteinander, schon seit mehreren Jahren, und ich haßte ihn. Mein Gott, wie ich ihn haßte! Niemand habe ich in meinem Leben so gehaßt wie ihn, besonders in gewissen Augenblicken. Er war ein älterer gravitätischer Mensch, der nebenher ein wenig schneiderte. Aber aus einem unbekannten Grund verachtete er mich über alle Maßen und sah unerträglich hochmütig auf mich herab. Übrigens sah er auf alle herab. Man brauchte nur einen Blick auf diesen weißblonden, gestriegelten Kopf zu werfen, auf die sorgfältig gedrehte Tolle, die er mit Sonnenblumenöl salbte, auf diesen seriösen, stets tugendhaft geschürzten Mund – und man merkte sofort, daß man ein Wesen vor sich hatte, das keinerlei Zweifel an sich selbst empfand. Er war ein Pedant höchsten Grades, der größte Pedant von allen, denen ich je begegnet bin, und dazu noch von einer Eitelkeit, die sich höchstens ein Alexander von Mazedonien hätte leisten dürfen. Er war in jeden seiner Knöpfe verliebt, in jeden seiner Fingernägel – eben verliebt. Diese Verliebtheit sah man ihm sofort an! Mich behandelte er ausgesprochen despotisch, sprach mit mir äußerst selten, und wenn er mich eines Blickes würdigte, so geschah das mit einem sicheren, würdevoll-selbstbewußten und stets spöttischen Ausdruck, der mich bisweilen zur Raserei brachte. Seinen Dienst versah er mit einem Gesicht, als erweise er mir die größte Gnade. Übrigens tat er so gut wie gar nichts für mich und hielt sich auch nicht für verpflichtet, etwas zu tun. Es bestand keinerlei Zweifel, daß er mich als den letzten Trottel der ganzen Welt

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