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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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kommt? Und übrigens mag sie nur kommen; egal …” Offensichtlich war das jetzt nicht das wichtigste und dringlichste; ich mußte mich beeilen und um jeden Preis, so schnell wie möglich, meine Reputation in den Augen Swerkows und Simonows retten. Das war das wichtigste. Lisa aber vergaß ich an jenem Morgen gänzlich, vor lauter Sorgen.
    Die Hauptsache war, Simonow die gestrige Schuld zurückzuzahlen. Ich entschloß mich zu einem gewagten Schritt: Anton Antonytsch um ganze fünfzehn Rubel anzugehen. Ausgerechnet an diesem Morgen war er bei bester Laune und erfüllte meine Bitte ohne weiteres, nach den ersten Worten. Ich war darüber so froh, daß ich ihm beim Unterschreiben der Quittung mit verwegener Miene beiläufig erzählte, daß ich gestern »mit Freunden im Hôtel de Paris gefeiert habe; einen Freund verabschiedet, man könnte auch sagen, einen Jugendfreund, und wissen Sie – einer, der das Leben genießt und verwöhnt ist, aus guter Familie, versteht sich, bedeutendes Vermögen, glänzende Karriere, geistreich, liebenswürdig, Frauengeschichten, Sie wissen schon; wir tranken ein halbes Dutzend über den Durst und …« Und es ging gut: alles ließ sich leicht, ungezwungen und selbstsicher aussprechen.
    Nach Hause zurückgekehrt, schrieb ich sofort an Simonow.
    Bis auf den heutigen Tag habe ich meine Freude daran, wenn ich an den wahrhaft weltmännischen, gutmütigen und offenherzigen Ton meines Briefes zurückdenke. Gewandt, vornehm und vor allen Dingen ohne jedes überflüssige Wort nahm ich alle Schuld auf mich. Ich rechtfertigte mich, »wenn es mir überhaupt noch zusteht, mich zu rechtfertigen«, mit der Erklärung, daß ich, an Alkohol nicht gewöhnt, bereits nach dem ersten Gläschen betrunken war, welches ich (angeblich) vor ihrer Ankunft getrunken hatte, als ich von fünf bis sechs im Hôtel de Paris auf sie wartete. Ich entschuldigte mich eigentlich nur bei Simonow; ich bat ihn lediglich, meine Erklärungen auch allen anderen zu übermitteln, besonders Swerkow, den ich, »ich glaube mich wie im Traum zu erinnern«, vielleicht beleidigt hätte. Ich fügte hinzu, daß ich gerne persönlich bei allen vorgesprochen hätte, wenn nicht die Kopfschmerzen wären und ich mich nicht so sehr schämte. Besonders gefiel mir diese ›gewisse Leichtigkeit‹, beinahe eine Lässigkeit (übrigens eine durch und durch vornehme), die sich plötzlich in jeder Zeile spiegelte und besser als alle Beweise zu verstehen geben mußte, daß ich dieser »ganzen gestrigen Scheußlichkeit« ziemlich überlegen gegenüberstehe, daß ich durchaus nicht zerknirscht bin, wie Sie, meine Herrschaften, wahrscheinlich glauben, keineswegs, sondern ganz im Gegenteile die Sache so auffasse, wie ein Gentleman mit ruhigem Selbstbewußtsein sie eben auffassen muß. »Die Wahrheit bringt dem Helden keinen Vorwurf.«
    “Ist das nicht einfach galant und spielerisch?” staunte ich, den Brief noch einmal überfliegend. “Und das alles, weil ich ein entwickelter und gebildeter Mensch bin! Jeder andere würde an meiner Stelle nicht wissen, wie er sich aus dieser Affäre ziehen soll, ich aber bin schon wieder obenauf und lebe drauflos, und das nur, weil ich eben ein ‹gebildeter und entwickelter Mensch unserer Zeit› bin. Vielleicht lag es wirklich gestern nur am Wein? Hm, das stimmt ja nun nicht, das lag nicht am Wein. Und Wodka hatte ich ja überhaupt nicht getrunken zwischen fünf und sechs, als ich auf sie wartete. Da habe ich Simonow belogen; gewissenlos belogen; aber auch jetzt macht es mir nichts aus … Bah, übrigens, Schwamm drüber! Die Hauptsache ist doch, daß man die Geschichte los wird.”
    Ich legte dem Brief sechs Rubel bei und überredete Apollon, den Brief zu Simonow zu bringen. Als er erfuhr, daß das Kuvert Geld enthielt, wurde er ehrerbietiger und erklärte sich bereit hinzugehen. Gegen Abend ging ich spazieren. Mein Kopf tat immer noch weh, und mir schwindelte. Doch je näher der Abend heranrückte und je dichter die Dämmerung wurde, desto schneller und verwirrender wechselten meine Empfindungen und auch meine Gedanken. Irgend etwas in mir, in der Tiefe des Herzens, wollte nicht sterben, es wollte nicht sterben und blieb als brennende Sehnsucht. Ich suchte die belebtesten Geschäftsstraßen, die Meschtschanskije, die Sadowaja, entlang dem Jusupow-Park. Ich liebte es besonders, in der Dämmerung durch diese Straßen zu gehen, wenn dort die Menge der Fußgänger dichter wurde, wenn Handwerker und Arbeiter mit ihren

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