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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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mehr fragte, was er wolle, sondern mich entschlossen und gebieterisch aufrichtete und ihn gleichfalls unbeweglich ansah. So starrten wir einander etwa zwei Minuten lang an; schließlich drehte er sich wieder langsam und gravitätisch um und verließ mich auf weitere zwei Stunden.
    Ließ ich mich auch dadurch nicht zur Vernunft bringen und fuhr in meiner Rebellion fort, so begann er, während er mich ansah, zu seufzen, lange und tief zu seufzen, als wolle er mit diesem einen Seufzer den ganzen Abgrund meiner moralischen Verkommenheit ausmessen; und das Ganze, versteht sich, endete schließlich damit, daß er vollständig die Übermacht gewann: ich tobte, ich schrie, aber ich wurde trotzdem gezwungen, in allem nachzugeben.
    Dieses Mal aber, sobald das übliche Manöver der ›strengen Blicke‹ begann, geriet ich sofort außer mir und fuhr ihn wütend an. Ich war ohnedies schon gereizt.
    »Bleib!« schrie ich wie rasend, als er sich langsam und schweigend, die eine Hand auf dem Rücken, wieder umdrehen wollte, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen, »bleib, zurück, zurück, sag ich!« Und ich muß wohl so unnatürlich gebrüllt haben, daß er sich wieder umdrehte und mich sogar gewissermaßen erstaunt betrachtete. Übrigens sprach er kein Wort, aber das war es ja, was mich am meisten reizte.
    »Was unterstehst du dich, hier ohne Erlaubnis einzutreten und mich so anzustarren? Antworte!«
    Aber nachdem er mich in aller Seelenruhe etwa eine halbe Minute lang betrachtet hatte, schickte er sich wieder an kehrtzumachen.
    »Bleib!« brüllte ich und stürzte auf ihn zu, »nicht vom Fleck! So. Antworte jetzt: Warum kommst du und guckst?«
    »Wenn Sie mir jetzt etwas zu befehlen haben, so ist es an mir, es auszuführen«, antwortete er nach einigem Schweigen, leise und umständlich lispelnd, wobei er die Augenbrauen hochzog und den Kopf von einer Schulter zur anderen wiegte – und das alles wiederum mit der grauenhaftesten Gelassenheit.
    »Es geht nicht darum, nicht darum, du Henker«, schrie ich zornbebend. »Ich werde dir sagen, du Henker, ich, warum du herkommst: du siehst, daß ich dir deinen Lohn nicht auszahle, willst aber aus Stolz nicht darum bitten, willst dich nicht erniedrigen und schleichst dann mit deinen dummen Blicken herum, um mich zu bestrafen, zu quälen, ohne zu begreifen, du Henker, wie dumm das ist: Dumm, dumm, dumm, dumm, dumm!«
    Wieder schickte er sich schweigend an kehrtzumachen, ich aber hielt ihn fest.
    »Höre!« schrie ich ihn an. »Hier ist Geld, siehst du, hier ist es (ich riß das Geld aus der Schublade), die ganzen sieben Rubel, aber du bekommst sie nicht, du bekommst sie nicht, so lange, bis du kommst und mich ehrerbietig, reumütig um Verzeihung bittest! Hast du gehört?!«
    »Das wird niemals geschehen!« antwortete er mit geradezu unnatürlichem Selbstbewußtsein.
    »Das wird geschehen«, schrie ich, »auf mein Ehrenwort, das wird geschehen!«
    »Ich habe Ihnen nichts abzubitten«, fuhr er fort, als ob er mein Geschrei nicht gehört hätte, »Sie selbst haben mich ja ›Henker‹ genannt, wofür ich Sie jederzeit auf der Polizei wegen Beleidigung anzeigen kann.«
    »Geh! Zeig mich an!« brüllte ich wieder, »geh auf der Stelle, in diesem Augenblick! In dieser Sekunde! Du bist ein Henker! Henker! Henker!« Er sah mich jedoch nur noch einmal an, drehte sich um, und, ohne mein weiteres Rufen zu beachten, schritt er ruhig auf seine Kammer zu, ohne sich umzublicken.
    “Ohne Lisa wäre es nicht so weit gekommen!” entschied ich bei mir. Und dann, nachdem ich ungefähr eine Minute lang dagestanden hatte, begab ich mich würdevoll und feierlich, jedoch mit langsam und stark klopfendem Herzen, zu ihm in seinen Verschlag.
    »Apollon!« sagte ich leise und mit Nachdruck, aber keuchend, »geh sofort, unverzüglich, und hole die Polizei!«
    Er hatte inzwischen schon an seinem Tisch Platz genommen, die Brille aufgesetzt und wollte anfangen zu nähen. Als er meinen Befehl hörte, prustete er vor Lachen.
    »Sofort, du gehst sofort! Geh, sonst passiert etwas, was du dir nicht vorstellen kannst!«
    »Sie sind wahrhaftig nicht ganz bei Verstand«, meinte er darauf, ohne auch nur den Kopf zu heben, weiterhin umständlich lispelnd. Er fädelte ungerührt eine Nadel ein. »Und wer hat es denn je erlebt, daß ein Mensch gegen sich selbst die Obrigkeit anruft? Was aber das Fürchten betrifft – so strengen Sie sich ganz umsonst an, weil – nichts passieren wird.«
    »Geh!« kreischte ich und packte ihn

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