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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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betrachtete, und er ›duldete mich nur deshalb in seiner Nähe‹, weil er von mir seinen monatlichen Lohn fordern konnte. Er war bereit, bei mir für diese sieben Rubel monatlich ›nichts zu tun‹. Seinetwegen werden mir bestimmt viele Sünden vergeben. Zuweilen war mein Haß auf ihn so groß, daß mir schon sein Gang Krämpfe verursachte. Doch ganz besonders widerlich war mir sein Lispeln. Seine Zunge war etwas länger, als es sich gehört, oder was weiß ich, jedenfalls lispelte er beständig und war auch noch stolz darauf, weil er sich einbildete, daß es ihm eine gewisse Vornehmheit verleihe. Er sprach immer leise, gesetzt, die Hände auf dem Rücken und die Augen zu Boden gesenkt. Ganz besonders brachte er mich auf, wenn er in seiner Kammer Psalmen zu lesen begann. Dieser Psalmen wegen habe ich die härtesten Kämpfe mit ihm ausgefochten. Aber er liebte es sehr, allabendlich zu lesen, mit leiser gleichmäßiger Stimme in singendem Tonfall, ganz wie über einem Toten. Es ist bemerkenswert, daß er dabei blieb: jetzt liest er Psalmen bei den Toten, nebenbei vertilgt er Ratten und stellt Schuhwichse her. Damals jedoch konnte ich mich von ihm nicht trennen, ganz, als wäre er mit meiner Existenz irgendwie chemisch verbunden. Außerdem wäre er nie bereit gewesen zu gehen. Ich konnte niemals in möblierten Zimmern wohnen: meine winzige Wohnung war mein Haus, meine Schale, mein Futteral, in das ich mich vor aller Menschheit verkroch, Apollon aber, der Teufel weiß warum, schien mir zu dieser Wohnung zu gehören, und so brachte ich es ganze sieben Jahre lang nicht fertig, mich seiner zu entledigen.
    Sein Gehalt auch nur zwei, drei Tage lang zurückzuhalten war ausgeschlossen. Er hätte sich so aufgeführt, daß ich weder aus noch ein gewußt hätte. In diesen Tagen aber war ich dermaßen mit allem zerfallen, daß ich mich aus irgendeinem Grund und zu irgendeinem Zweck entschloß, Apollon zu bestrafen und ihm seinen Lohn noch ganze zwei Wochen vorzuenthalten. Das hatte ich mir schon lange, schon seit etwa zwei Jahren vorgenommen – einzig um ihm zu beweisen, daß er kein Recht habe, sich so breitzumachen, und daß ich ihm, wenn es mir gefiele, sein Gehalt überhaupt nicht auszuzahlen brauchte. Ich nahm mir vor, kein Wort darüber zu sagen und absichtlich zu schweigen, um seinen Stolz zu brechen und ihn zu zwingen, als erster von dem Gehalt zu sprechen. Dann erst würde ich die sieben Rubel aus der Schublade nehmen, ihm zeigen, daß ich sie habe, daß sie zurückgelegt sind, sie ihm aber nicht geben, weil “ich nicht will, nicht will, weil ich ihm seinen Lohn einfach nicht auszahlen will; nicht will, weil ich es eben so will”, weil das mein ›Herrenwille‹ ist, weil er nicht ehrerbietig, weil er ein Grobian ist; falls er aber unterwürfig bitten sollte, würde ich mich unter Umständen erweichen lassen und ihm die sieben Rubel aushändigen; wenn nicht, dann müsse er noch zwei Wochen warten, drei Wochen warten, einen ganzen Monat müsse er warten …
    Aber wie aufgebracht ich auch war, gesiegt hat er doch. Ich habe keine vier Tage durchgehalten. Er begann, womit er schon immer in ähnlichen Fällen zu beginnen pflegte, denn ähnliche Fälle hatte es schon gegeben, ähnliche Fälle waren schon herbeigeführt worden (und ich möchte gleich hinzufügen, daß ich das alles im voraus wußte, daß ich seine ganze niederträchtige Taktik auswendig kannte); nämlich: er begann damit, daß er einen ungemein strengen Blick auf mich richtete und einige Minuten lang auf mir ruhen ließ, insbesondere, wenn er mich an der Tür empfing oder hinausbegleitete. Hielt ich dann zum Beispiel stand und tat, als bemerke ich diese Blicke überhaupt nicht, so ging er, immer noch schweigend, zu der nächsten Folter über. Plötzlich, mir nichts, dir nichts, kommt er mit leisen und gemessenen Schritten in mein Zimmer, wenn ich auf und ab gehe oder lese, bleibt an der Tür stehen, legt eine Hand auf den Rücken, stellt ein Bein vor und richtet den Blick auf mich – einen nicht mehr bloß strengen, sondern vollends verächtlichen Blick. Wenn ich ihn dann frage, was er wolle, antwortet er mit keiner Silbe, fährt fort, mich noch einige Sekunden lang anzustarren, um sich dann mit seltsam zusammengekniffenen Lippen und bedeutsamer Miene langsam umzudrehen und sich langsam in seine Kammer zurückzuziehen. Nach etwa zwei Stunden kommt er wieder heraus und pflanzt sich wieder vor mir auf. Es kam vor, daß ich ihn vor Zorn überhaupt nicht

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