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Aufzeichnungen eines Außenseiters

Aufzeichnungen eines Außenseiters

Titel: Aufzeichnungen eines Außenseiters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Hotel und hatte damals einen Freund, schon etwas älter, ehemaliger Sträfling, und der hatte einen Job, der darin bestand, die Trommeln von Candy-Maschinen auszukratzen. Klingt nicht wie eine Sache, für die es sich zu leben lohnt, nicht? Jedenfalls, wir haben ab und zu 'ne Nacht zusammen durchgesoffen und er machte den Eindruck, als ob man gut mit ihm auskommen konnte; großer, bulliger, gutmütiger Bursche, so an die 45; Lou hieß er. Früher mal im Steinbruch gearbeitet. Hakennase, große, zerschrammte Pfoten, ausgelatschte Schuhe, ungekämmtes Haar, nicht so gut im Umgang mit Weibern wie ich — damals wenigstens. Kurz und gut, er kam mal nicht zur Arbeit, weil er gesoffen hatte, und die CandyDoys entließen ihn. Ich hab ihm gesagt, er soll sich nichts draus machen, ein Job kostet einen Mann sowieso die beste Zeit im Leben. Er schien von meinen hausbackenen Ansic hten nicht viel zu halten und ging wieder weg. Ein paar Stunden später ging ich rüber zu ihm, weil ich mir ein paar Zigaretten von ihm pumpen wollte. Ich klopfte an, aber er reagierte nicht. Ich dachte mir, er schläft wahrscheinlich seinen Rausch aus. Die Tür war nicht abgeschlossen. Ich ging also rein, und da lag er auf dem Bett und die ganze Bude war voller Gas. Ich schätze, die Southern California Gas Company hat keine Ahnung, wie viele Leute ihren Service in Anspruch nehmen. Also, ich machte die Fenster auf und drehte das Gas ab. Ein alter Knastbruder, dem sie den Candy-Spachtel aus der Hand genommen hatten, weil er einen Tag bei der Arbeit gefehlt hatte. (»Der Boss sagt, ich bin der beste Arbeiter, den er je gehabt hat. Das Dumme ist bloß, daß ich zu oft fehle. Letzten Monat waren es zwei Tage. Er sagt, wenn ich noch einmal fehle, schmeißt er mich raus.«)
Ich ging rüber ans Bett und rüttelte ihn. »Wach auf, du verdammtes Aas!«
»Waa . . .?«
»Du verlottertes Aas, wenn du das nochmal machst, tret ich dich so lang in den Arsch, bis ich dir diese Flausen ausgetrieben hab!«
    »Hey, Ski, DU HAST MIR DAS LEBEN GERETTET ! ICH VERDANKE DIR MEIN LEBEN ! DU HAST MIR DAS LEBEN GERETTET !«
Er hörte überhaupt nicht mehr auf. Noch Wochen danach fing er immer wieder damit an. Er lehnte sich zu meiner Freundin rüber mit seiner Hakennase und nahm ihre Hand in seine große schwielige Pranke, oder — noch schlimmer — er legte sie auf ihr Knie und sagte: »Hey, dieser lausige Bruder hat mir das LEBEN GERETTET ! VERSTEHST DU ?«
»Das hast du mir schon x-mal gesagt, Lou.«
»YEAH, ER HAT MIR DAS LEBEN GERETTET!«

Ein paar Tage später verschwand er und blieb für zwei Wochen die Miete schuldig. Ich hab ihn nie wieder gesehen. Langsam klart sich mein verkatertes Hirn wieder auf. Vielleicht hat man mehr davon, wenn man statt Selbstmord zu begehen zu den anderen davon spricht und sie dadurch davon abbringt. Oder wirklich?
Ich bin bei meinem letzten Bier angelangt, und aus meinem Radio auf dem Fußboden kommt japanische Musik. Vor einer Weile klingelte das Telefon. Irgendein Saufbruder. Ferngespräch. Aus New York.
»Hör zu, Mann, solang sie uns nur alle fuffzig Jahr einen Bukowski geben, hab ich keine Sorge, daß ichs durchsteh.« Für einen Augenblick erlaube ich mir den Luxus und laß mir das langsam auf der Zunge zergehen. Es ist verlogen, aber es tut gut, und ich hab schließlich hochkarätige Bluesdepres sionen.
»Mann, erinnerst du dich noch an die Sauftouren, die wir zu sammen gemacht haben?«
»Yeah, ich erinnere mich.«
»Was machst du jetzt so? Immer noch am Schreiben?« »Yeah, ich schreib grad was über Selbstmord.«
»Selbstmord?«
»Yeah, ich schreib eine Kolumne oder so was, für eine neue Zeitung, die sie hier angefangen haben. OPEN CITY .« »Und die drucken das Ding über Selbstmord?«
»Was weiß ich.«
Wir reden noch eine Weile, und dann hängt er wieder auf. Ich erinnere mich, als ich ein Junge war, gab es einen Song, der hieß BLUE MONDAY . Kürzlich haben sie das, glaub ich, in Ungarn oft im Radio gespielt. Und jedesmal, wenn im Radio BLUE MONDAY kam, hat jemand Selbstmord verübt. Der Song wurde schließlich verboten. Aber aus meinem Radio kommt grad was, das ist genauso schlimm. Also wenn ihr in der nächsten Ausgabe meine Kolumne vermißt, dann bestimmt nicht, weil mir die Themen ausgegangen sind.
    Es war letzten Montag. Ich hatte Nachtschicht geschoben bis Mitternacht und fuhr anschließend zu so 'ner Party. Ich brachte ein Six-Pack mit, das brachte die Leute wieder in Stimmung, und jemand ging weg und holte

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