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Aufzeichnungen eines Außenseiters

Aufzeichnungen eines Außenseiters

Titel: Aufzeichnungen eines Außenseiters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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fluchten. Es waren viele. Er stellte das Feuer ein und wartete. Er sah ein Hosenbein hinter ein paar Büschen, er zielte etwas höher, wo er den Körper vermutete, und drückte ab. Ein Mann schrie auf. Es wurde immer dunkler. Gloria wäre ihm garantiert weggelaufen. Er wußte genau, daß er sie sitzen gelassen hätte, wenn sie jemals sowas gehabt hätte.
Sie wußten, er saß in der Falle, ganz da oben auf dem Hügel. Aber sie sahen auch, daß sie sich nicht mehr näher an ihn heranarbeiten konnten; es gab keine Deckung mehr, nur noch verstreute kleine Felsbrocken. Und alle wollten wieder heil nach Hause kommen. Er schätzte, daß er sie noch eine ganze Weile in Schach halten konnte.
Sie fingen an, Leuchtkugeln hochzujagen. Es gelang ihm, ein paar davon abzuschießen, aber bald deckten sie ihn förmlich damit ein. Und sie kamen immer näher. Scheiße. Scheiße. Na ja. Eine Leuchtkugel landete ganz dicht neben ihm, und für einen Augenblick konnte Henry seine Hände sehen. Er schaute n ochmal hin: seine Hände waren WEISS .
WEISS ! Es war weg!. Er war wieder WEISS , WEISS !
»Hey!« schrie er, » ICH GEBS AUF ! ICH ERGEB MICH ! ICH GEBS
AUF !!«
    Henry riß sein Hemd auf und schaute auf seine Brust: WEISS . Er zog sein Hemd aus, band es an den Lauf seiner Flinte und schwenkte es. Sie hörten auf zu schießen. Der irre lächerliche Traum war vorüber. Der Clown mit den roten Tupfen war verschwunden. Was für ein Witz, was für eine Scheiße . . . war es überhaupt wirklich geschehen? Es konnte nicht sein. Er mußte es sich eingebildet haben. Oder war es doch geschehen? War das in Hiroshima wirklich geschehen? War irgend etwas jemals wirklich geschehen?
Er warf sein Gewehr hinunter. Dann ging er langsam hinterher, kam langsam auf sie zu, die Hände hoch über dem Kopf, und schrie: » ICH GEBS AUF ! ICH ERGEB MICH ! ICH ERGEB MICH !« Während er näher kam, hörte er erregtes Stimmengewirr. »Mann, was sollen wir jetzt machen?« »Ich weiß nicht. Paß bloß auf, vielleicht ist es ein Trick.« Er hat Eddie und Weaver auf dem Gewis sen. Ich hasse die Drecksau.«
»Er kommt näher.«
» ICH ERGEB MICH !«
Einer der Bullen gab fünf Schüsse auf ihn ab, drei trafen ihn im Bauch, zwei gingen durch die Lunge.
Sie ließen ihn gut eine Minute liegen, ohne sich zu regen. Dann kamen sie aus der Deckung. Der Bulle, der geschossen hatte, erreichte ihn als erster. Er setzte den Stiefel an seiner Seite an und drehte ihn mit einem Schwung auf den Rücken. Der Bulle war ein Neger, Adrian Thompson, 236 Pfund, mit einem beinahe abbezahlten Eigenheim am Rande eines der besseren Stadtviertel. Er grinste im schwachen Mondlicht auf den leblosen Körper herunter.
Der Verkehr auf der Freeway wickelte sich wieder so reibungslos ab, als sei nichts geschehen.
    Wir krallen uns alle an die Wände der Welt, und in den fin stersten Augenblicken meines Deliriums denke ich an zwei Freunde, die mir Ratschläge zu verschiedenen Arten des Selbst
mords geben. Kann man sich einen besseren Beweis der Freundschaft denken?
Der eine hat an seinem linken Arm eine Rasiermessernarbe neben der anderen. Der andere stopft sich die Pillen pfundweise durch das Loch in seinem filzigen schwarzen Bart. Beide schreiben Gedichte. Gedichte schreiben bringt es in manchen Fällen mit sich, daß man ständig mit einem Bein über dem Abgrund schwebt. Trotzdem werden wir alle drei wahrscheinlich ein hohes Alter erreichen. Könnt ihr euch die Welt im Jahre 2010 vorstellen? Vieles wird natürlich davon abhängen, was man mit der Bombe anstellt. Aber es ist denkbar, daß man nach wie vor Rühreier zum Frühstück essen wird, Orgasmusschwierigkeiten haben wird, Gedichte schreiben wird und Selbstmord verüben wird.
Ich glaube, meinen letzten Selbstmordversuch habe ich 1954 unternommen. Ich wohnte damals in einem Apartmenthaus an der North Mariposa Avenue. Ich machte alle Fenster dicht und drehte das Gas auf. Dann machte ich mirs auf dem Bett bequem. Das Geräusch von ausströmendem Gas hat etwas ungemein Beruhigendes an sich. Ich war im Nu weg. Es hätte wohl auch geklappt, nur kriegte ich von dem eingeatmeten Gas solche Kopfschmerzen, daß ich wieder aufwachte. Ich stand auf, fing an zu lachen und sagte mir: >Du Idiot, du willst dich ja gar nicht umbringen !< Ich drehte das Gas ab und riß die Fenster auf. Ich mußte einfach lachen. Das Ganze kam mir wie ein blöder Witz vor.
Ein paar Jahre davor, als ich mal wieder eine einwöchige Sauftour hinter mir hatte, war ich auch ziemlich

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