Aufzeichnungen eines Außenseiters
entschlossen, mich umzubringen. Ich lebte damals mit so 'nem süßen kleinen Ding zusammen und hatte keinen Job. Das Geld war alle, die Miete fällig, und selbst wenn ich mich um einen mickrigen Job gekümmert hätte, wäre es nur eine andere Form von Krepieren gewesen. Bei der nächsten Gelegenheit, wenn sie grad mal weg war, wollte ich es tun.
Inzwischen wollte ich mich vergewissern, was für ein Tag es war, denn bei der ständigen Sauferei verwischten sich einem die Vorstellungen von Tag und Nacht. Wir waren einfach pausenlos am Trinken und Stoßen. Es war um die Mittagszeit, als ich aus dem Haus trat, und ich ging die Straße runter zum Kiosk und kaufte eine Zeitung. Freitag stand da neben dem Datum. Schön, Freitag war mir so lieb wie jeder andere Tag. Und dann sah ich die Schlagzeile. MILTON BERLE ' S COUSIN VON
HERABFALLENDEM STEIN ERSCHLAGEN . Also wie zum Teufel kann man an Selbstmord denken, wenn solche Dinge Schlagzeilen machen? Ich klemmte mir die Zeitung unter den Arm und ging zurück in die Wohnung. »Rat mal, was passiert ist?« fragte ich sie. »Was?« sagte sie. »Milton Berle's Cousin ist ein Stein auf den Schädel gefallen.« »Im Ernst?« »Yeah.« »Was glaubst du, was für ein Stein das war?« »Ich schätze, irgendwie rund, glatt und gelb.« »Yeah, das glaub ich auch.« »Was dieser Cousin wohl für Augen hat. . .?« »Ich würde sagen braun, so 'ne Art blasses Braun.« »Blasse braune Augen, und 'n leicht gelber Stein.« » CLUNK !« »Yeah, CLUNK !« Ich machte ein paar Flaschen auf, und wir hatten schließlich doch noch einen richtig netten Tag. Ich glaube, die Zeitung mit dieser Schlagzeile hieß »The Express« oder »The Evening He rald« oder so ähnlich. Ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls, ich bin der Zeitung und Milton Berle's Cousin und dem runden glatten gelben Stein zu ewigem Dank verpflichtet. Well, da unser Thema heute anscheinend Selbstmord ist, ich erinnere mich da an die Zeit, als ich in Frisco im Hafen gearbeitet hab, und während der Mittagspause hockten wir da am Pier, ließen die Füße über den Rand baumeln und fraßen unsere Stullen. Well, eines Tages hock ich also da und der Kerl neben mir zieht sich Schuhe und Strümpfe aus und legt sie schön ordentlich neben sich hin. Ich denk mir nichts weiter dabei, bis ich es platschen höre. Und merkwürdig: kurz bevor er auf dem Wasser aufprallte, schrie er > HILFE !<. Und dann waren nur noch ein paar kleine Wellen zu sehen. Ich saß da und sah zu, wie die Luftblasen aufstiegen. Dann kam einer zu mir her gerannt und fing an zu brüllen. » TU DOCH WAS ! ER
VERSUCHT , SICH DAS LEBEN zu NEHMEN !« »Was soll ich denn da machen, verdammt nochmal!« »Hol ein Seil, wirf ihm ein Seil • zu oder so was!« Ich sprang auf und rannte in einen Schuppen, wo ein alter Mann grad dabei war, Pakete und Kartons zu packen. » GIB MIR ' N STÜCK SEIL !« Er schaute mich verständnislos an. »VERDAMMT, GIB MIR 'N STÜCK SEIL, DA IST EINER AM
ERSAUFEN , ICH MUSS IHN RAUSZIEHEN !« Der Alte drehte sich um und langte nach etwas. Als er sich mir wieder zuwandte, hielt er etwas zwischen zwei Fingern und streckte es mir hin. Es war ein kleines Ende Bindfaden. Mir platzte der Kragen. » DU ELENDER SAUBLÖDER SCHEISSER!« brüllte ich ihn an. Inzwischen hatte sich so ein junger Streber seiner Klamotten entledigt, war reingesprungen und brachte unseren Selbstmörder wieder an Land. Der Streber durfte sich als Belohnung für den Rest des Tages frei nehmen. Unser Selbstmordkandidat behauptete steif und fest, er sei aus Versehen rein gefallen. Allerdings hatte er keine Erklärung dafür, warum er sich zuvor erst Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatte. Ich sah ihn nie wieder. Vielleicht versuchte er's in der Nacht noch einmal mit mehr Erfolg. Man weiß eben nie, wo einen der Schuh drückt. Der lächerlichste Anlaß kann einen Knacks verursachen, wenn einer erst mal in der richtigen Verfassung ist. Und am schlimmsten ist es, wenn man sich seine Ängste und Agonien nicht einmal mehr selbst erklären kann, wenn es einfach auf einem liegt wie ein großes, dickes Stück Eisenblech und man nicht mehr hochkommt, nicht mal bei 25 Dollar in der Stunde. Ich weiß Bescheid. Selbstmord? Selbstmord scheint einem völlig unvorstellbar — bis man einmal selbst angefangen hat, ernsthaft daran zu denken. Und um dem Klub beizutreten, braucht man nicht mal Mitglied in der Poet's Union zu sein . . . Ich erinnere mich, als junger Mensch, ich lebte in so 'nem schäbigen
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