Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
Ganze nimmt teilweise groteske Züge an. Letztens fragt mich auf einer Hochzeitsfeier ein unerfahrener Gast so ganz nebenbei, um ein eigentlich längst erstorbenes Gespräch wiederzubeleben, was ich denn so für Hobbys hätte.
Sofort fangen meine Augen an zu funkeln, mein Herzschlag setzt für einen Moment aus, und ich lasse das bereits erhobene Glas Cola, das nur noch dazu da war, geleert zu werden, um einen Grund zu haben, endlich den Gesprächspartner zu wechseln, kurz vor meinem Mund, etwa auf Höhe des zweiten Doppelkinns von unten, verharren. Ich mustere mein Gegenüber eingehend, dann blicke ich mich langsam und vorsichtig um.
Die Gespräche im Raum verstummen, sämtliche Menschen, die mich kennen, legen schützend ihre Arme um Freund oder Freundin. Oder beides. Dabei flüstern sie: «Oh Gott!», und: «Da hat schon wieder einer diese Frage gestellt!», und: «Wie kommen wir hier wieder raus?», und: «Verdammt, ich habe Frau und Kind … muss das alles hier so enden?» Teilweise werden hektisch Sachen zusammengerafft, und über alle verfügbaren Rettungswege versuchen die Eingeweihten mit den ihnen Anvertrauten die Räumlichkeiten zu verlassen.
Ich setze in aller Seelenruhe das Glas ab, lehne mich an die Wand und sorge dafür, dass mein Opfer keinen Grund hat zu gehen. Mit geübtem Handgriff fülle ich sein Glas bis zum Rand auf. Jetzt kann er nämlich auch nicht trinken, ohne etwas auf sein schickes Hemd zu schütten. Folglich wird er das Glas in der nächsten Zeit nicht leeren und kann somit nicht fliehen. Er versteift sich quasi vor mir und stellt sich tot: wehrlos, hilflos, hoffnungslos. Mein Opossum 2 des heutigen Abends.
Dann beginne ich ganz harmlos: «Geocachen …»
Aus dem Augenwinkel sehe ich einen Freund heranschleichen, der verzweifelt versucht, mein Gegenüber irgendwie von mir wegzulocken. Während er ihm zuwinkt, formt er wild mit den Lippen Worte. Er wendet dabei den Trick an, nur eine Seite seines Mundes zu bewegen, damit die mir zugewandte Lippenhälfte ruhig bleibt und ich denke, er würde nicht reden. Leider verwechselt er dabei gerne mal die Seiten, und der Geheimhaltungsgrad sinkt ganz weit nach unten …
Deshalb sagt mein naiver Gesprächspartner, obwohl er mein siegessicheres Lächeln unmöglich übersehen haben kann: «Geocachen, was ist denn das?»
Ein Raunen geht durch die Reihen der verbliebenen Gäste, vielerorts ist ein entsetztes «NEIN!» zu hören. Zwei meiner Freunde stürzen sich aus dem Fenster. Bei einer Kellerparty schürft man sich dabei zwar nur die Stirn auf, aber ich verstehe, dass sie es wenigstens versuchen mussten.
Ich setze an: «Also. Das ist eine moderne Schnitzeljagd. Jemand versteckt eine Tupperdose im Wald …»
Auch die Braut verlässt nun den Raum mit den Worten: «Es ist meine Hochzeit! Es hätte so ein schöner Tag werden können! Davon träumt man als Frau ein ganzes Leben! Ich hab dir gesagt, ich will den nicht einladen!»
Darauf der Bräutigam: «Ich kann doch nichts dafür, dass er gefragt hat.»
«Aber du kennst den, DEN er gefragt hat …»
Ich lasse mich von so etwas natürlich nicht stören, immerhin bemerke ich einen Hauch von Neugierde im Gesicht meines Gegenübers und fahre fort: «… und merkt sich die GP S-Koor dinaten .»
«GP … Was für Koordinaten?»
JA! Er ist tatsächlich ahnungslos, und ich kann, nein DARF ganz von vorne anfangen. «GP S . Das ist ein System zur Ortsbestimmung, satellitenbasiert. Damit weiß man immer, wo man sich auf der Erde befindet. Es funktioniert folgendermaßen …»
So geht das jetzt lange. Sehr lange. Sehr, sehr lange.
Irgendwann verliert mein Gesprächspartner das Bewusstsein und bricht zusammen. Dabei entleert sich das volle Glas Cola über ihm, und er kommt mit einem «Er war so schön, dieser kurze Moment» wieder zu sich. Sofort frage ich ihn, wo ich denn stehengeblieben sei. Da er zwischendurch geschlafen haben muss, liegt dieser Punkt weit, weit vorne im Gespräch, und ich darf wieder bei Adam und Eva beginnen. Irgendwann bin ich fertig, und der Gast wird aus dem Zimmer getragen. Wiederbelebungsversuche werden in der Regel unterlassen. Es ist besser für ihn, er könnte aufwachen und sich an jedes Detail erinnern. Das wäre zwar nicht das Schlimmste, aber würde auch nur die kleinste Lücke auftauchen, ich würde sie füllen. Mit Vergnügen!
Der Sektenbeauftragte der Landeskirche kommt vorbei und sagt: «Ich habe Sie schon lange unter Beobachtung. Alle, die
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