Auge des Mondes
Sonst verliere ich noch vollständig meinen Verstand.«
Sie kam seiner Bitte gern nach und fand Tama, die im Innenhof Hocker und Sitzmöbel mit einem dunklen Öl bearbeitete.
»Hab die Köchin entlassen müssen«, stieß sie zwischen ihren zornigen Polierbewegungen hervor. »Und die Dienerin kommt auch nur noch zweimal die Woche. So tief sind wir schon gesunken! Aber wie sollte es auch anders sein mit einem Ehemann, der es sich aus Jähzorn mit allen und jedem verscherzt, und einem Sohn, der den Kopf nur in den Wolken hat?«
Niemand hat dich gezwungen, dir für diese Arbeit ausgerechnet einen schwülen Morgen auszusuchen, hätte Mina am liebsten geantwortet. Der Ausdruck von Enttäuschung und Bitterkeit jedoch, der sich tief um Tamas einst so schönen Mund eingegraben hatte, hinderte sie daran. Früher hatte Tama genauso ausgesehen wie die nubischen Schönheiten, von denen Rahotep offenbar noch heute träumte: ein rundliches, sanftes Mädchen, das gerne fröhlich gelacht hatte, mit glatter dunkler Haut, schweren Brüsten und einem kecken Hinterteil. Jetzt war Tama dürr und vertrocknet und hatte bis heute nicht aufgehört, ihre Niederlagen zu zählen.
»Wo steckt er denn, dein Wolkengucker?«, fragte sie stattdessen betont munter. »Hätte ganz gern einmal kurz mit ihm gesprochen.«
Tama ließ den schmutzigen Lappen sinken.
»Keine Ahnung«, flüsterte sie. »Zu Hause war er jedenfalls heute Nacht nicht. Sein Bett war unberührt, als ich ihn morgens wecken wollte. Wenn sein Vater das erfährt, schlägt er ihn zu Brei.«
»Das klingt ziemlich übertrieben, findest du nicht? Ameni ist doch kein Kind mehr!«, sagte Mina. »Andere in seinem Alter gründen bereits einen neuen Hausstand …«
»Mein Junge ist noch nicht so weit!«, sagte Tama schroff.
»Du kennst ihn nicht richtig, sonst würdest du so etwas nicht sagen. Was, wenn ihm etwas zugestoßen ist? Keine Stunde könnte ich mit dieser entsetzlichen Gewissheit weiterleben.«
»Was sollte ihm schon zugestoßen sein? Junge Männer wie dein Sohn«, erwiderte Mina mit einer gewissen Schärfe in der Stimme, »dehnen eben ihre Grenzen aus, können aber in der Regel ziemlich gut auf sich selber aufpassen. Er wird wieder nach Hause kommen, Tama, verlass dich drauf! Spätestens dann, wenn all seine Deben restlos verbraucht sind und der Hunger ihn plagt.«
»So kann nur eine daherreden, die niemals unter Schmerzen ein Kind geboren hat.« Tama begann wütend weiterzureiben. »Keine Mutter dieser Welt könnte derart herzlos reagieren!«
»Da hast du vermutlich sogar recht.« Mina ließ sich nicht anmerken, wie sehr diese Spitze sie verletzt hatte.
»Falls du Ameni siehst, dann sag ihm doch bitte, dass ich ihn sprechen möchte. Ich weiß jetzt vielleicht, wie ich ihm weiterhelfen könnte.«
Jetzt starrte Tama sie misstrauisch an. »Und wobei, wenn ich fragen darf? Was habt ihr beide denn schon wieder heimlich miteinander zu mauscheln?«
Lächelnd zuckte Mina die Achseln. Tamas Blick wurde noch finsterer. Man sah ihr förmlich an, wie sie innerlich nach der nächsten Gemeinheit kramte. Und dann schien sie tatsächlich etwas gefunden zu haben.
»Was hast du denn mit deiner Hand angestellt?« Ihr Tonfall triefte vor Gehässigkeit. »Sieht ja scheußlich aus! Ich fürchte, das wird dir bleiben. Bist etwa unter eine Löwenpranke geraten?«
»So ungefähr«, sagte Mina und verabschiedete sich eilig.
Sie zeigten sich beide nicht, weder Ameni noch der Fremde, und irgendwann im Lauf des Nachmittags musste Mina sich eingestehen, dass sie darüber enttäuscht war. Weil der Streit zwischen Horus und Seth ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte, hatte sie heute mit dieser Geschichte angefangen. Doch sie war lang und verwickelt, und um nicht bis in alle Ewigkeit erzählen zu müssen, entschloss Mina sich zu einer List, die sie äußerst selten anwandte.
Sie preschte vor, zog Tempo und Spannung derart an, dass beim Auftritt von Isis alle mit offenem Mund lauschten. Mina ließ ihre Augen über die gebannten Zuhörerinnen gleiten, dann verstummte sie mittendrin.
»Den Rest bekommt ihr morgen zu hören«, sagte sie.
»Gleiche Zeit, gleicher Ort. Ich werde da sein, und wenn ihr so zahlreich wie heute erscheint, können wir alle zusammen das wunderschöne Ende erleben.«
»Versprochen?«, versicherte sich ein junges Mädchen, das besonders mitgefiebert hatte.
»Versprochen!«, sagte Mina.
Sie nahm nicht eines der Geschenke an, die sie ihr aufdrängen wollten, sondern
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