Auge des Mondes
vertröstete auch hierbei die Frauen auf morgen. Sie wollte nur noch nach Hause. Vielleicht wartete dort ja bereits Ameni auf sie - und nicht nur er.
»Dein Neffe macht ganz schön krumme Sachen«, zischte ihr beim Vorbeigehen Sedi zu, dessen kümmerliche Zuhörerschaft sich längst zerstreut hatte. »Solltest in Zukunft besser ein waches Auge auf ihn haben!«
»Was geht dich mein Neffe an?«, sagte Mina. Sollte er doch zusehen, wohin seine jämmerliche Eifersucht ihn noch führte. Sie war nun mal die Königin des Marktes!
»Dann willst du sicherlich auch nicht wissen, dass er vor gewissen Häusern herumstreunt wie ein liebeskranker Kater, oder vielleicht doch?«
»Was willst du damit andeuten?« Die Hände in den Hüften, baute sie sich vor Sedi auf.
»Nichts. Gar nichts. Könnte mir allerdings vorstellen, dass gewisse hochstehende Persönlichkeiten so etwas gar nicht gerne sehen …«
»Von wem redest du? Und jetzt rück endlich heraus mit dem, was du weißt, Sedi, sonst verliere ich die Geduld!«
»Der Satrap«, flüsterte Sedi und verzog seinen zahnlückigen Mund zu einem schiefen Grinsen. »Und das Haus, das ich vorhin erwähnt habe, ist in Wirklichkeit ein Palast. Sein Palast. Es heißt, man habe Ameni in seinem Garten erwischt.«
»Und dann? Was ist danach passiert?« Der Satrap war der Statthalter des persischen Pharaos und genoss in dessen Abwesenheit ungezählte Privilegien. Unbefugt in seine Privatsphäre einzudringen wäre mehr als eine Dummheit gewesen - eine Dummheit, die Mina ihrem liebeskranken Neffen allerdings durchaus zutraute, wenn sie länger darüber nachdachte.
»Weiß ich nicht.« Sedi legte die flache Stirn in Falten.
»Ehrlich nicht. Hab dir schon alles gesagt, was ich im Vorbeigehen gehört habe. Weil wir beide doch vom gleichen Fach sind, sozusagen.«
Die offenkundige Unverschämtheit ließ sie für heute ausnahmsweise unkommentiert. Mina rieb sich unschlüssig die Hände. Was sollte sie tun? Rahotep und Tama benachrichtigen? War das nicht sogar ihre Pflicht?
Aber sie hatte ja nichts in der Hand. Nichts als das Geschwätz dieses Prahlers, der es, wie alle hier wussten, mit der Wahrheit nicht zu genau nahm. Was, wenn sich schließlich alles als ganz anders herausstellte?
Dann hätte sie Ameni umsonst der Wut seines Vaters und dem eifersüchtigen Klammern seiner Mutter ausgeliefert. Sie kannte ihren Neffen. Die kleinen Geheimnisse, die sie geteilt hatten, waren ihnen beiden stets heilig gewesen. Es würde lange dauern, bis er ihr einen solchen Verrat verzeihen könnte.
In ihrer Not fiel ihr nur einer ein, an den sie sich wenden konnte, um Genaueres in Erfahrung zu bringen: Senmut, dessen Erster Schreiber Chai lange Jahre gewesen war. Mit einigem Glück würde man sie im Tempel zu ihm vorlassen. Sie war zwar nichts weiter als eine Witwe, aber doch immerhin die Witwe eines Mannes, den man dort bis heute offenbar noch immer schätzte und ehrte.
»Was wirst du jetzt unternehmen?« Sedis Kaiman schien allmählich hungrig zu werden und machte Anstalten, nach Minas Fuß zu schnappen. Es erschien ihr besser, die beiden sich selber zu überlassen. »Den Satrapen um Gnade anflehen? Aber kann dir das auch gelingen? Man sagt ihm nach, er sei grausam und rachsüchtig, ständig geil und stets auf der Suche nach neuen Frauen für seinen riesigen Harim, und wenn ihm eine aus Versehen zu nah kommt, dann ist sie schon so gut wie verloren …«
»Halt jetzt einfach deinen Mund!«, sagte Mina. »Tust du mir diesen Gefallen?«
Jetzt hatte offenbar auch er die unübersehbaren Schrammen auf ihrem Handrücken entdeckt.
»Hat sie dich etwa gezeichnet?«, fragte er. »Hübsches Andenken! War es ein Kampf oder vielmehr eine …«
»Nichts, womit du dich belasten müsstest«, sagte Mina und ging rasch davon, äußerlich um einiges gelassener, als ihr innerlich zumute war.
zwei
Die Kobra war zurückgekehrt, größer und dunkler, als hätte die Schlange bei ihrem ewigen Schlaf tief unter der Erde neue, noch stärkere Kräfte geschöpft. Zwar trug ihr zerfetzter Leib sichtbar die hässlichen Spuren von Aasräubern, doch schien sie das keineswegs aufhalten zu können. Mit Augen, glühend wie geschliffene Edelsteine, fixierte sie ihre Beute, züngelnd, bereit, im nächsten Augenblick ihr Gift zu verspritzen.
Die Frau wollte fliehen, aber sie konnte kein Glied rühren, kein Bein, keinen Arm, nicht einmal den Kopf, als sei sie ganz aus Stein gemacht. Selbst die Lider ließen sich nicht mehr bewegen.
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