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Auge um Auge (German Edition)

Auge um Auge (German Edition)

Titel: Auge um Auge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han , Siobhan Vivian
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abschleppen lassen?« Er schüttelt den Kopf. »Nein, nichts dergleichen.«
    Ich spüre, wie mir das Blut aus dem Kopf sackt. Redet er von Nadia oder ... von mir?
    Alex geht weg und fängt an, die Deko hinten in seinen SUV zu laden. Ich nehme so viele von den Gartenfackeln, wie ich tragen kann, und folge ihm. Er sagt nichts und ich auch nicht.

07 MARY  Ich sitze auf meinem Bett und schaue mir ein altes Fotoalbum an, das ich im Keller gefunden habe. Mit jedem Umblättern werde ich älter. Lauter Bilder von mir: mal vor einer Deckenburg, von unten mit der Taschenlampe angestrahlt, mal hoch oben auf der Reifenschaukel im Garten hinterm Haus, mit von der Sonne fast weiß gebleichten Haaren. Dad und ich mit großen Klumpen Seetang auf dem Kopf. Beim Klarinetteüben vor meinen Eltern und Tante Bette im Esszimmer.
    Das letzte Foto im Album zeigt mich neben dem Fliederbusch, am ersten Tag der siebten Klasse. Ich stehe auf Zehenspitzen und schnuppere an den Blüten. Kein Wunder, dass Reeve mich heute Morgen nicht erkannt hat. Man kann es einfach nicht anders ausdrücken – ich war richtig fett.
    ···
    Alle redeten über den neuen Stipendiaten. Die Montessorischule in Belle Harbor auf dem Festland war wirklich absolut winzig. Unsere siebte Klasse hatte gerade mal zwanzig Schüler, und ich war die Einzige von Jar Island. Beim Mittagessen redeten ein paar Jungs gerade darüber, wie schlau man für so ein Stipendium wohl sein müsse, als Reeve hereinkam.
    Als er sich in die Schlange vor der Essensausgabe einreihte, zog er alle Blicke auf sich.
    Meine Freundin Anne beugte sich vor. »Der ist schon niedlich, findest du nicht auch?«
    »Nicht übel«, flüsterte ich zurück.
    Reeve war deutlich größer als alle anderen Jungen in unserer Klasse, aber er war nicht schlaksig. Er hatte schon richtig kräftige Muskeln – vermutlich hatte er an seiner alten Schule Sport getrieben. An unserer Montessorischule gab es keinen Sportunterricht. Wir hatten ja nicht einmal längere Pausen, es sei denn, man rechnete die Waldspaziergänge mit.
    Unser Lehrer winkte ihn herüber und zeigte ihm, wo die Klasse immer saß.
    »Hey«, sagte Reeve ziemlich gelangweilt in die Runde und ließ sich auf einen freien Platz fallen.
    Einige der Jungs murmelten »Hey« zurück, doch die meisten sagten gar nichts. Ich glaube, wir haben uns alle sofort von seiner apathischen Art anstecken lassen. Im Grunde wollte er wohl gar nicht an unserer Schule sein. Vermutlich hatte er dort, wo er herkam, einen Haufen Freunde.
    Er tat mir leid.
    Reeve schwieg und biss ab und zu lustlos in sein Brot. Es war sicher schwer, die Schule zu wechseln. Für mich war dies die einzige, die ich je gekannt hatte. Schon seit dem Kindergarten kam ich hierher.
    Als nach dem Essen alle aufstanden, sah Reeve sich unsicher um, wo er sein Tablett abstellen konnte.
    Spontan beugte ich mich vor, um es für ihn wegzubringen. Keine Ahnung, warum – ich wollte einfach nett zu ihm sein, nehme ich an.
    Aber bevor ich es überhaupt zu fassen bekam, riss er es zurück und blaffte mich ganz laut an: »Du bist wohl immer noch nicht satt, wie?«
    Die Jungen, die ihn gehört hatten, brachen vor Lachen fast zusammen. Kann sogar sein, dass ich selbst auch gelacht habe, einfach weil ich so total überrumpelt war.
    Anne verzog das Gesicht. Aber sie guckte nicht mitleidig, nein, sondern einfach sauer. Und zwar nicht auf Reeve. Sondern auf mich.
    Reeve lachte am lautesten. Er verließ den Tisch als Erster, und alle gingen hinter ihm her, dabei konnte er noch nicht einmal wissen, wo wir unseren Klassenraum hatten. Sein Tablett ließ er einfach auf dem Tisch stehen.
    Ich brachte es schließlich zusammen mit meinem weg.
    Bevor Reeve kam, galt ich als eines der schlauen Mädchen, besonders in Mathe. Ich galt als schüchtern, aber freundlich. Unter Leuten tat ich mich etwas schwer. Ich war das Mädchen mit den langen blonden Haaren, die von der Insel. Aber nach Reeve war ich nur noch die Fette .
    ···
    Ich schlage das Album zu. Das Mädchen darin, das bin ich nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Aber wieder hier zu sein auf Jar Island, mit Reeve, mit meinen alten Bildern und Stofftieren und so, das wühlt alles wieder auf.
    Von unten höre ich, wie Tante Bette leise das Geschirr spült.
    Unser gemeinsames Essen heute Abend war gelinde gesagt merkwürdig. Heute Morgen hatte ich mir noch vorgestellt, wie ich ihr in allen Einzelheiten von meinem ersten Tag erzählen würde – von Reeves Gesicht in dem Moment,

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