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Auge um Auge

Auge um Auge

Titel: Auge um Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Vivian , Jenny Han
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an. Egal, wie laut ich weinte, er drehte sich nicht um, kein einziges Mal.
    Als wir anlegten, ging er sofort von Bord. Ich wartete, bis die übrigen Fahrgäste die Fähre verlassen hatten, dann schlich ich mich an Land und versteckte mich hinter einem Lieferwagen, der wartete, um aufs Festland zu fahren. Ich sah meine Mutter, die auf mich wartete. Sie winkte Reeve zu, als er von der Fähre hinunterrannte. Er winkte nicht zurück. Er tat so, als würde er sie nicht sehen.
    Ich wusste, wenn sie mich nicht sah, würde sie einfach auf die nächste Fähre warten. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie mich so sehen sollte. Sie sollte nicht wissen, dass der Junge, von dem ich ihr so viel erzählt hatte, der Junge, den wir an jenem Regentag zum Eisessen eingeladen hatten, mir das angetan hatte.
    Ich beschloss, nach Hause zu schleichen, mich umzuziehen und so zu tun, als wäre ich mit dem nächsten Schiff gekommen. So müsste sie nie erfahren, was passiert war. Sie nicht und mein Dad auch nicht.
    Ich duckte mich und versteckte mich hinter verschiedenen Wagen. Als ich den Parkplatz hinter mir gelassen hatte, rannte ich, so schnell ich konnte, die Straße hoch zu unserem Haus. Bei jedem Schritt machten meine Turnschuhe ein quatschendes Geräusch. Die ganze Zeit musste ich daran denken, wie Reeve sich mir gegenüber verhalten hatte, wenn wir allein waren. So als bedeutete ich ihm etwas. So als wären wir Freunde. Ich wusste nicht, wie ich ihm am nächsten Morgen begegnen sollte. Zum einen wegen dem, was er mir angetan hatte, zum anderen aber auch, weil ich wusste, dass das, was wir gehabt hatten, für immer verloren war. So lächerlich es sich anhört – Reeve war der einzige Freund gewesen, der mir geblieben war.
    Ich ging hinauf in mein Zimmer und öffnete den Kleiderschrank, um mich schnell umzuziehen. Ehrlich. Doch stattdessen stand ich einfach nur da und starrte die Deckenbalken an. Schließlich holte ich ein Seil aus dem Keller, schaffte es nach ein paar Versuchen auch, es um einen der Balken zu werfen, und knotete es zu einer Schlinge. Ich zog meinen Schreibtischstuhl heran, stellte mich darauf und legte mir die Schlinge um den Hals. Ich machte einen großen Schritt vom Stuhl und sackte hinunter.
    Doch sobald ich fiel, wusste ich, ich wollte nicht sterben. Ich fing an zu kämpfen, strampelte mit den Beinen, um den Stuhl wieder zu mir heranzuholen. Aber das Seil war so eng, ich bekam keine Luft mehr. Von meinem eigenen Gewicht schwang ich hin und her wie ein Pendel und stieß mit den Füßen gegen die Wand. Mir wurde schwarz vor Augen, langsam verlor ich das Bewusstsein.
    Zum Glück kam Mom nach Hause. Sie hörte, wie meine Füße immer gegen die Wand schlugen, und kam herauf. Sie schrie, als sie mich sah. Sie holte mich herunter, löste das Seil von meinem Hals und legte mich auf den Boden. Dann wählte sie die 911 und strich mir immer übers Haar, bis die Sanitäter eintrafen.
    ···
    Entsetzt starren Kat und Lillia mich an.
    »Sobald mein Zustand sich stabilisiert hatte, ließen meine Eltern mich in ein anderes Krankenhaus bringen, eins weit weg von Jar Island. Ein ganzes Jahr lang bin ich nicht zur Schule gegangen, habe Therapien gemacht und so. Monatelang habe ich in einer geschlossenen Abteilung gelebt und versucht, Ärzte und Schwestern davon zu überzeugen, dass ich mich nicht mehr umbringen wollte. So war es auch wirklich. Was mich am Leben hielt, war die Vorstellung, dass ich eines Tages hierher zurückkehren und Reeve zwingen würde zuzugeben, was er getan hatte.«
    Ich atme tief aus, und schon fühle ich mich leichter, ein kleines bisschen leichter.
    »Also«, sagt Kat, »so viel ist schon mal klar: Wir müssen Reeve umbringen.«
    Ich kann nicht entscheiden, ob das ein Witz sein sollte oder ob sie es ernst meint. Hoffentlich war’s nur ein Witz. »Ich will ihn nicht umbringen«, sage ich, damit das ganz klar ist. »Ich will nur, dass er einen Bruchteil des Schmerzes fühlt, den ich empfunden habe.« Wobei ich nicht einmal weiß, ob das überhaupt möglich ist.
    »Wir helfen dir, Mary. Er muss bezahlen für das, was er getan hat.« Tränen laufen über Lillias Gesicht, doch in ihren Augen leuchtet Feuer.
    »Danke«, flüstere ich.
    Kats Beine zucken. »Am liebsten würde ich jetzt sofort zu Reeve fahren und ihm eins in seine verdammte Visage hauen. Aber ich weiß, wir können mehr. Wir können ihm Schlimmeres zufügen, wenn wir abwarten und in Ruhe nachdenken. Reeve Tabatsky müssen wir in ganz

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