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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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danach ins Gebälk? Das ergibt für mich keinen Sinn.«
    »Tja, vieles im Leben hat keinen.« Damit erhob sich Queißer und schlurfte aus dem Zimmer.
    Miersch hörte eine Tür schlagen. Die düstere Atmosphäre lastete schwer in dem Raum wie in den Stuben der Herrschaft um 1900. Sie war beinahe greifbar. Über dem Esstisch hing eine gehäkelte Decke. Das Leder der Sessel hatte einen tiefen Braunton. In einem Regal standen Bücher, die beim Antiquar gutes Geld brächten: gebunden mit Golddruck. Miersch hatte Heldenepen des Sozialismus erwartet, aber vielleicht standen die im anderen Zimmer. Und über der Couch leuchtete die ölige Sonne im Teich.
    Queißer kam nicht sofort zurück.
    Miersch war versucht, das Sudoku zu lösen. Er blätterte in der Fernsehbeilage, um zu erfahren, dass am Abend wieder einmal Politiker mit Politikern diskutierten. Die Parolen standen in jeder Zeitung, in jedem Parteiprogramm. Miersch hätte sie mitsingen können und war nicht gewillt, dafür sein Geld den öffentlich rechtlichen Sendern zu spenden. Die Alternativen waren Dolph Lundgren in Lektion heißt überleben, Heinz Erhard als Witwer mit fünf Töchtern und eine erkleckliche Anzahl von Zoo-, Auswanderer- und Küchendokus. Zum Kotzen! Er könnte seinen Fernseher abmelden, nur Margo saß am Abend manchmal davor.
    Die Zimmertür öffnete sich wieder, und Queißer trug ein Tablett mit Kaffeetassen und Kognak.
    »Nur aufgebrüht. Türkisch. Ich trinke ihn gern mit einem Schuss.«
    »Danke. Ich auch.«
    Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, aber Miersch schien die Notlüge momentan angebracht, um das steife Gespräch aufzulockern. Er bemühte sich erneut um ein Lächeln. Überraschenderweise erwiderte es Queißer.
    »Warum haben wir nicht früher miteinander gesprochen?«
    Miersch fand dafür keinen guten Grund. Er hatte nie das Bedürfnis verspürt, seinen Vorgänger im Amt kennenzulernen. Man übernahm die Arbeit und fertig. Kein Chef suchte die Begegnung mit jenen, die zuvor auf seinem Stuhl gesessen hatten, zumal, wenn der Vorgänger aus einem anderen ideologischen System kam.
    »Kannten Sie denn Ihren Vorgänger?«
    »Er hat mich für die Stelle des Kripochefs empfohlen.« Queißer schlürfte am Kaffee und blickte hämisch. »Wer hatte sich für Sie ausgesprochen, damit Sie den Posten erhielten?«
    Miersch glaubte es nicht, doch der Alte trieb ihn schon wieder in die Enge. Er griff zu seiner Tasse und suchte krampfhaft nach Fakten, die Queißer glaubhaft erscheinen könnten.
    »Sie müssen mir nichts erklären«, fuhr der schon fort. »Aber wissen Sie, es waren früher nicht alles Dilettanten in leitenden Funktionen. Andere wurde nach Parteibuch extra auf solche Posten gesetzt.«
    »Ich kann verstehen, dass Sie mit Ihrer Biografie …«
    Queißer hob wie zur Abwehr die Hände. »Ach Gott, vor fünfzehn Jahren hätte ich Bomben legen können. Aber heute … Auch das Rentnerleben muss nicht langweilig sein.« Er lächelte, Miersch schien es blanker Hohn.
    Er sah genau diese Einsamkeit auf sich zukommen, und ihn befiel Angst. Mit Margo würde er schweigsam in der Wohnung sitzen, ohne eine Chance der Veränderung. Da wäre ein Leben als Wirt wesentlich interessanter. Ja, er konnte sich ein gemeinsames Leben mit Anne vorstellen. Nach der Pensionierung würde ihn bei seinem jetzigen Job keiner beschäftigen, hinterm Zapfhahn konnte er auch mit achtzig noch stehen. So ihn der Tod nicht eher erwischte.
    »Sie hat nicht der Kohlund geschickt?«
    Miersch überraschte die Frage tatsächlich. »Aber nein!«
    »Der hat mir den Grischa auf den Hals gehetzt, damit wir einen alten Fall klären.«
    Das war Miersch nun wirklich neu: Kohlund schickte einen Kollegen aus der Mord zwo zu Herrn Queißer, und er wusste nichts drüber.
    »Und haben Sie?«
    »Ja … oder sagen wir fast. Nach Jahrzehnten lässt sich die Wahrheit nicht mehr genau belegen, und viele der Spuren sind kaum zu rekonstruieren. Man erzählt dann die Geschichten, die am plausibelsten klingen.«
    »Ja.«
    Jetzt musste Miersch auf den Augensammler zurückkommen, sonst dachte Queißer noch, dass er zur Wiedergutmachung hier wäre. Nein, er wollte den alten Genossen weder etwas vorwerfen, noch sie in den Himmel loben. Miersch hatte den Eindruck, dass Queißers Reden ein einziger Vorwurf waren. Allerdings hätte er diesen Eindruck mit nichts belegen können. Aber Mierschs Intuition trog ihn selten.
    »Sie glauben, Hajo Popp war der Mörder?«, fragte er.
    »Er war es nicht.« Queißer

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