Augen für den Fuchs
Neurophysiologischen Rehabilitationszentrum bearbeitet. Das sind Sie, hat uns die Sekretärin Ihres Chefs gesagt. Da Hauptkommissar Kohlund und Kommissarin Beetz momentan im Haus nicht erreichbar sind, hat man mich mit Ihnen verbunden, Herr Kommissar.«
Schmitt spürte einen faden Geschmack im Mund und versuchte, Spucke zu sammeln, um überhaupt sprechen zu können. Sie übernehmen die Frauen! Jetzt wollte eine Serafina Karataeva mit ihm sprechen. Schönen Dank auch!
»Was kann Ihre Mandantin denn zur Klärung des Falles beitragen? Ich stecke voll in der Arbeit.«
Schmitt hörte ein Murmeln, dann vernahm er die Stimme des Rechtsanwalts wieder deutlich. Schmitt war, als würde sein Hals vertrocknen. Ein Reizhusten steckte ihm in der Kehle.
»Sie kennen Frau Karataeva, sie heißt Anita Demand«, sagte der Anwalt.
»Ich denke, sie heißt Serafim Karatuso.«
»Nein, Demand, Anita Demand. Sie arbeitete unter falschem Namen und wird im Mordfall Frank Stuchlik als Zeugin gesucht.«
»Wenn nicht sogar als Tatverdächtige.«
»Das ist unser Anliegen. Frau Demand beziehungsweise Frau Karataeva möchte eine Aussage machen, wenn ihr daraus keine Unannehmlichkeiten entstehen.«
»Ich kann doch Mörder nicht freisprechen!«
»Sie ist keine Mörderin.«
»Ja.« Schmitt bereute seinen Satz. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er begriff nur, die gesuchte Demand nahm Kontakt zu ihm auf. Er würde den Fall klären.
Der Rechtsanwalt am anderen Ende der Leitung atmete schwer. Wahrscheinlich war er genervt. Schmitt war es auch. Sie übernehmen die Frauen! Er konnte nicht glauben, dass sich die gesuchte Zeugin freiwillig bei ihm meldete.
»Arbeitet diese Demand oder Karataeva bei der Sparkasse Leipzig?«
»Nein! Sie arbeitete …« Der Anwalt betonte die Vergangenheitsform. »Frau Karataeva war im Neurophysiologischen Rehabilitationszentrum tätig. Sie ist die Nachtschwester, nach der Sie seit Tagen suchen.«
»Ja.«
»Frau Karataeva ist bereit, mit Ihnen zu sprechen unter der Bedingung, dass Sie sie nicht verhaften.«
»Wenn sie sich nichts vorzuwerfen hat …«
»Sie hat sich nichts vorzuwerfen, aber sie kann sich mit Ihnen nur unter der Voraussetzung treffen, dass ihr persönlich daraus keine Nachteile erwachsen.«
»Sie belastet sich mit ihrer Aussage selber?«
»In gewissem Sinn … Ja. Frau Karataeva besitzt für Deutschland keine Aufenthaltsgenehmigung. Sie ist illegal in unserem Land.«
Deswegen sprach er mit dem Anwalt und nicht mit der Frau selbst, schlussfolgerte Schmitt. Alle Zeugen konnten sich immer bei der Polizei melden, jeder wusste, dass die Aussagen vertraulich behandelt würden. Hier lagen die Tatsachen anders: Schmitt wusste jetzt von der Straffälligkeit der Frau Karataeva. Eigentlich war er gesetzlich verpflichtet, die dafür zuständigen Stellen zu informieren. Er hielt nichts davon, dass Ausländer auf seine Kosten im Land lebten. Die Karataeva hatte zu viel Schuld auf sich geladen – illegal plus mordverdächtig.
Nur durfte dieser Rechtsanwalt keinen Verdacht schöpfen. Schmitt musste ungezwungen klingen, authentisch. Seine Kehle war trocken, und er hüstelte. »Was schlagen Sie vor?«
»Wir können Ihnen vertrauen?«
»Natürlich.«
»Clara-Park, Glashaus, morgen, zehn Uhr dreißig.«
»Ich werde da sein.«
»Und ich kann mich auf Sie verlassen?«
»Jawohl. Morgen. Glashaus. Zehn Uhr dreißig. Kein Problem. Ich freu mich auf Sie. Vielleicht kommt der Fall endlich zum Abschluss.«
»Wäre denkbar.«
Schmitt legte den Hörer sorgfältig auf die Gabel und strich sich über die Brust. Sie übernehmen die Frauen! Frau Oberkommissarin würde sich wundern, wenn er ihr eine Illegale als Täterin präsentierte. Der Tag wurde doch noch ein voller Erfolg - Müdigkeit, Durst und schwerem Kopf zum Trotz. Schmitt nahm die Flasche aus dem dritten Schubfach und stieß mit sich an.
Dann stand er auf, ging zum Waschbecken. Er trank gierig und spritzte sich Wasser übers Gesicht und unter die Achseln. So erfrischt erstattete er Meldung bei der Ausländerbehörde. Die Kollegen waren überrascht und bedankten sich mehrmals für seine Unterstützung. Sie versprachen, morgen früh mit allen notwendigen Kräften am Einsatzort aufzutauchen. Schmitt würde die Aktion leiten. Wenn die Beetz das erfuhr, würde sie zerspringen vor Wut. Schmitts Laune besserte sich zusehends. Prost, alter Knabe! Bis zum Dienstschluss heute war noch viel Zeit, und Schmitt hatte sich Ruhe verdient. Er drehte den Schlüssel
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