Augen für den Fuchs
dazugekommen«, konnte sich Miersch nicht enthalten zu bemerken.
»Der Augensammler. Wie lang ist das her? Zwanzig Jahre?«
»Fünfundzwanzig. Genau fünfundzwanzig.«
Queißer hatte sein Lächeln noch immer nicht verloren, und es schien Miersch keine Maske. Allerdings konnte er Queißers gute Laune nicht deuten. Sie war ihm unheimlich.
»Der Fall wurde geklärt. Der Mörder überführt.«
»Ja«, sagte Miersch leise, »aber vielleicht war Hajo Popp gar nicht der Mörder.«
»Ah, ja.« Queißer lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vorm Bauch.
Miersch suchte nach Gründen, die dem Alten sein Anliegen erklärten. »Nach Akteneinsicht scheinen mir die Beweise seiner Schuld auch anders interpretierbar.«
»Ach so.«
Das klang nicht nur überheblich, das war genauso gemeint, da war Miersch sich sicher. Und immer noch das Schmunzeln auf den Lippen Queißers. Miersch hätte es auch als Häme deuten können. Er schaute auf das Ölbild über dem Sofa. Ein See und ein Ruderboot in untergehender Sonne.
»Warum interessiert Sie der Fall? Der war so klar wie nur irgendwas.« Der Alte beugte sich wieder zu ihm vor. »Wollen Sie uns mangelnde Sorgfalt bei den Ermittlungen vorwerfen? Brauchen Sie mehr Argumente für die Überlegenheit des Kapitalismus? Ich kämpfe nicht mehr um die alten Ideale. Wem nützt es, wenn Sie die vergessenen Akten hervorholen? Der Sozialismus ist auf ganzer Linie gescheitert. Sie brauchen dafür nicht noch mehr Beweise. Auch wenn Sie uns im Fall Hajo Popp Fehler nachweisen könnten.«
Queißer hob beide Hände und gab sich schon vor dem Kampfe geschlagen. Die Kapitulation schien Miersch nicht ernst gemeint, und er wollte keine Konfrontation. Aber Queißer empfand offensichtlich allein schon seine Anwesenheit als solche. Miersch musste die Gesprächstaktik ändern, ohne dass er eine gehabt hätte. Er bemühte sich um Lockerheit und ein Lächeln.
»Herr …«
Wie redete er den Alten an? Major war ein Dienstgrad, den es schon lange nicht mehr gab. Nach der Wende hatte man Queißer einige Ränge zurückgestuft. Ihn Wachtmeister zu nennen, verbot sich Miersch. Er entfernte ein nicht vorhandenes Haar von seinen Lippen.
»Herr Queißer, ich wurde gebeten, im Fall zu recherchieren …«
»Ermittelt die Polizei jetzt auch auf private Nachfrage? Denn offiziell wird Sie keiner darum gebeten haben.«
Der Alte war mit allen Wassern gewaschen und trieb ihn wie in einem Verhör vor sich her. Miersch aber wollte nicht von Anne Popp und ihren Zweifeln sprechen. Er wollte den Fall des Augensammlers klären. Rein aus privatem Interesse. Er arbeitete nicht im Auftrag von Anne, Rosel oder wem auch immer. Miersch recherchierte aus eigenem Interesse.
»Ich bin durch Zufall auf diesen Serienmörder gestoßen. Er interessiert mich. Nur scheinen mir Ihre Beweise für die Schuld des Hans-Joachim Popp nicht ganz eindeutig zu sein. Auch sein Tod ist mehr Mysterium als Klärung. Mir scheint die Theorie des rächenden Sohnes eher aus einem Kriminalroman zu stammen. Verstehen Sie?«
»Die Motive für Mord sind banaler, als es sich Krimileser wünschen.« Der Alte klang wie ein Dozent bei der Prüfung, wenn man versagt hatte.
»Der Sohn war von den Untaten seines Vaters geschockt, stellte ihn zur Rede, und im Streit hat er ihn von der Tenne gestoßen. Landwirtschaftliches Gerät stand damals noch in Scheunen, nicht alle wurden als Garagen genutzt …«
»Zumal in der DDR, wo man fünfzehn Jahre auf einen Trabant warten musste.«
»Zumal in der DDR«, wiederholte Miersch und wedelte zur Bestätigung mit dem gestreckten Zeigefinger.
Queißer lachte. »Sie gefallen mir, Herr Kriminalrat.«
Miersch hatte zum ersten Mal den Eindruck, dass der Major echten Herzens amüsiert war. Im Fall des Augensammlers war er allerdings keinen Schritt weiter. Queißer hielt ihn auf Distanz. Miersch schwitzte und langsam quälte ihn Durst.
»Aber bringt ein Sohn seinen Vater um und richtet sich danach selbst? Würde er sich nicht eher bei der Mutter ausheulen oder alles verschweigen?«
Queißer zögerte. »Ein Vatermörder. Könnten Sie mit dieser Schuld leben?«
»Ich würde es zumindest versuchen. Zumal die Indizien nahelegen, dass der Tod von Hajo Popp ein Unfall gewesen war. Oder Sebastian hätte den Tod als Unfall erklären können, ohne dass Zweifel daran aufgekommen wären. Ich verstehe den Selbstmord des jungen Mannes nicht. Er tötet seinen Vater, einen Serienmörder, warum hängt er sich Minuten
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