Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
Vom Netzwerk:
stellte fest, dass er sich in Leipzig noch immer nicht hinlänglich auskannte. Allerdings kannte er auch in seiner Heimat nicht jede Straße mit Namen. Es war jedoch fast ausgeschlossen, in der Nähe des Ostplatzes eine Parkmöglichkeit zu finden. Die Straßen waren vor hundert Jahren nicht auf diesen Verkehr ausgerichtet worden.
    Miersch stellte sein Auto hinter eine der Universitätskliniken in die Nähe neu gestalteten innerstädtischen Grüns. Eilenburger Straße, die Johannisallee war nicht weit. Major Hartmut Queißer wohnte in einem jener Gründerzeithäuser, die Leipzigs Reiz und Flair ausmachten. Auch Margo und er wohnten in einem dieser sanierten Viertel. Queißers Haus war offensichtlich noch nicht im modernsten Chic renoviert. Der Putz war schimmelgrau, die Fassade bröckelte. Queißer wohnte im dritten Stock. Miersch sah keine Wechselsprechanlage neben den Klingeln. Die Haustür ließ sich öffnen. Der Geruch von Bratkartoffeln und Gulasch zog durch das Treppenhaus.
    Miersch quälte sich die Stufen hinauf. Die Lunge stach, die Knie schmerzten. In seinem Wohnhaus war ein Fahrstuhl eingebaut worden, in dem zumindest zwei Personen Platz fanden. Hier in diesem Haus quietschten die Holzstufen. Das Geländer war fein geschnitzt, aber wackelte. Miersch wusste nicht, worauf er sich einließ. Queißer hatte bestimmt keine gute Meinung von ihm, er hatte Angst, Angst und Respekt vor dieser Begegnung.
    Major Hartmut Queißer tauchte in den Erzählungen der heimischen Kollegen immer wieder auf. Und Kohlund wie Schmitt oder Böer sprachen mit Hochachtung von ihrem ehemaligen Chef. Miersch hatte diesem Namen nie Aufmerksamkeit geschenkt, für ihn war er synonym mit der untergegangenen Staatsmacht.
    Die Geschichte der Deutschen Volkspolizei versteht sich als Teil der Geschichte des Entstehens und der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik, des zuverlässigen Schutzes der revolutionären Errungenschaften des werktätigen Volkes und des Kampfes zur Sicherung des Friedens.
    Miersch hatte nie einen Anlass gesehen, sich mit der Arbeit der Genossen auseinanderzusetzen. Er war Repräsentant der neuen gesellschaftlichen Ordnung. Die sozialistische hatte das Volk selbst überwunden. Gerade in Leipzig. Der Heldenstadt.
    Nur Anne vom Gasthaus Zu den alten Eichen brachte ihn dazu, dieses Treppenhaus hinaufzusteigen. Miersch fühlte sich förmlich von ihr dazu genötigt. Sie hatte die Bitte um den Beweis der Unschuld ihres Vaters nicht einmal aussprechen müssen. Er recherchierte trotzdem und buhlte um die Sympathie dieser Frau. Major Hartmut Queißer war damals maßgeblich an den Ermittlungen beteiligt gewesen. Wenn jemand Miersch etwas sagen konnte, das nicht in den Akten stand, dann der Volkspolizist, der die Ermittlungen geleitet hatte. Doch nach Aktenlage war auch Queißer von der Täterschaft Hans-Joachim Popps überzeugt gewesen. Es gab keine Indizien, die Annes Vater entlasteten. Nur dass weder die Familie noch der ehemalige ABV ihm diese Taten zutrauten.
    Das Namensschild glänzte golden. Miersch atmete tief, bevor er den Klingelknopf drückte. Er kratzte sich mit dem rechten Schuh die linke Wade, wo er ein intensives Kribbeln spürte. Mücken- oder Flohstich, wenn nicht sogar eine Zecke. Er hatte manches über verfallene Häuser und Ungeziefer gehört. Doch konnte er sich nicht vorstellen, dass die Bewohner noch keinen Kammerjäger engagiert hatten. Zu DDR-Zeiten waren ganze Viertel zeckenverseucht. Ja, Miersch wusste genau, dass er nur seine Vorurteile bestätigt bekommen wollte, und suchte nach Negativem, um diese zu untermauern.
    Er drückte zum zweiten Mal und ausdauernder auf die Klingel. Die gegenüberliegende Tür wurde geöffnet, und ein Mütterchen unter Locken lächelte ihm entgegen. Mitte siebzig war sie, wenn nicht darüber. Marquardt las Miersch auf dem Schild an ihrer Tür. Er grüßte zurückhaltend. Das Mütterchen rieb sich die Hände an einer groß geblümten Kittelschürze ab. Auch sie schien wie das Haus aus der Zeit gefallen. Frau Marquardt hatte sicher zu Zeiten des Augensammlers bereits so ausgesehen.
    »Dor Queißer steht hinter der Diere un beobachtet Sie. Öffnet keenem, weil ihn keener besucht. Die, die kommen, sind Drückerkolonnen oder Stoobsoochervertreter.«
    »Ich wollte Herrn Queißer konsultieren …«
    »Si sind nich von hier, hä?« Dabei kam die Alte forsch zwei, drei Schritte auf ihn zu, so dass ihre Locken wippten. Sie stellte sich vor ihn hin und blickte zu ihm, wie eine

Weitere Kostenlose Bücher