Augen für den Fuchs
gelernt. Und Claire? Ja, Claire hing ihm noch immer im Nacken. Kriminalistin wollte sie werden, unbedingt. Im dritten Jahr bewarb sie sich und stand noch immer in der Warteschleife. Er würde mit seiner Tochter ein ernstes Wort reden müssen. Irgendwann. Zunächst schaffte er den von der Hohmann gekochten Kaffee auf Toilette. Aber alles bei rechtem Lichte betrachtet: Er war’s zufrieden. Ehrlich. Ganz ehrlich. Er könnte heulen.
»Sie übernehmen die Frauen!«
»Ja, welche Frauen?«
»Anita Demand. Manuele Schwitters. Augenscheinlich sind noch mehr Krankenschwestern verschwunden, haken Sie nach. Das Klinikum steht Kopf, und die Leihfirma gibt es nicht mehr.
Irgendwelche Spuren müssen sich finden lassen. Vielleicht fragen Sie noch mal nach im Neurophysiologischen Zentrum. Oder Sie starten einen Aufruf für andere Getäuschte, sich bei uns zu melden. Möglichkeiten gibt es viele. Ihrer Initiative sind keine Grenzen gesetzt. Wir müssen wissen, wie und wo Time is Money an seine Kunden herankam. Und vor allem, warum diese den Betrug mitgemacht haben. Kollege Schmitt, Sie übernehmen die Frauen!«
Er hatte genickt und gelächelt und hätte dabei dieser aufgetakelten Kuh eine reindreschen können. Nun saß er in seinem Büro und wusste nicht, wie beginnen. Auf abends fünf hatte die Beetz die nächste Sitzung einberufen. Bis dahin würde er ihr was erzählen können. Jetzt brauchte Schmitt Ruhe, und Marissa ging ihm verdammt noch mal nicht aus dem Sinn. Der Kaffee von der Hohmann kam ihm schon wieder hoch.
Lustlos blätterte Schmitt in der Akte. Die Beetz hatte recht, irgendeinen Grund mussten die Krankenschwestern haben, dass sie sich unter falschen Namen beschäftigen ließen. Wahrscheinlich übten die Betroffenen einen Zweitjob aus, der mit dem ersten nicht in Konkurrenz treten durfte. Denn das Geld aus einem Arbeitsverhältnis reichte oft nicht mehr aus zum Lebensunterhalt. Das staatliche System des Aufstockens bei Billiglöhnen war in aller Munde, in jeder Zeitung, in sämtlichen Reden zum Thema. Aber selbst wenn, dann hätten die Frauen zur Arbeitsagentur gehen und um Hartz IV bitten können. Doch das hatten sie nicht getan. Vielleicht schämten sie sich. Vielleicht sollte es der Gatte oder die Familie nicht bemerken. Aber nachts? Wer weiß, ob Marissa ihre Einkünfte ordentlich abrechnete. Das Problem blieb: Warum unter falschen Namen, und wie hießen die Frauen wirklich?
Schmitt könnte sich in Kohlunds Zimmer kurz auf die Couch legen. Ihm ging es wirklich nicht gut. Wie viele Nächte hatte er während des Studiums durchmachen können. Schlaf war damals der Luxus gewesen, den man im Alter lange genug noch hatte. Jetzt war es so weit: Er stand kurz vor der Fünfzig und hatte sämtlichen Ehrgeiz verloren.
Ja, der Kohlund, der hatte seine Chancen genutzt. Wahrscheinlich war er noch gar nicht am Ende seiner Karriereleiter angekommen. Doch für Schmitt war Schluss. Er war sich sicher, das Leben bot ihm keine Möglichkeiten mehr. Er war am Ende und hatte noch gut fünfzehn Jahre seinen Dienst zu versehen. Mein Gott!
Er stellte sich vor, mit Marissa in ein Sommerhaus zu ziehen. Eigener Pool, eigener Butler, eigene Yacht. Werbung erweckte Wünsche … Was wäre wenn … Marissa und eine Nacht voller Lust, die ihm jedoch kaum Hoffnung machte. Scheiße, verdammte! Es konnte noch nicht vorbei sein. Das durfte es nicht! Schmitt kannte den Ausbruch solcher Sentimentalitäten. Er nahm es als ein Symptom des Alters. Zwei Stunden später würde er lachen.
»Sie übernehmen die Frauen!«
Schmitt war sich sicher, dass weder Anita Demand noch Manuele Schwitters auf ihn warteten. Er konnte sich Zeit lassen. Der Fall würde sich klären. Überhaupt, was hatten diese Krankenschwestern mit dem Toten zu tun? Die Beetz ermittelte in falscher Richtung. Aber Kohlund hatte ja ihr die Leitung übertragen. Alles nicht sein Problem. Mit dem Kopf auf dem Schreibtisch schlief er ein.
Als das Telefon klingelte, musste er sich neu orientieren. Nein, er war nicht zu Hause. Nein, er lag nicht in Marissas Bett. Nein, weder Gabriele, Annika noch Claire wünschten ihm einen Guten Morgen. Schmitt saß im Büro und griff zum Hörer.
»Luger, Rechtsanwalt. Meine Mandantin möchte mit Ihnen sprechen. Können wir uns treffen?«
»Wer möchte mich sprechen?«
»Meine Mandantin. Serafina Karataeva.«
»Klingt wie Russland und Karate, damit kann ich nichts anfangen.«
»Frau Karataeva möchte zu dem Kommissar, der den Fall des Toten im
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