Augen für den Fuchs
Mutter zum frechen Kinde. Was haben wir denn falsch gemacht? Allerdings konnte Miersch seine Herkunft nicht leugnen, den bayrischen Zungenschlag hörte ihm jeder auch heute noch an.
»Nein. Ich komme aus München.«
»Sieht mer doch glei an der Kleidung. Solch Zwirn tragen wir nich. Un was wollen Se uns nu vergoofn?«
Miersch musste seine Worte erst suchen und verschluckte sich am eigenen Speichel. Er fragte sich, was ihn so aus der Fassung brachte. Ihm war, als würde er in einem fremden Land ermitteln, wo er weder Mentalität noch Sprache verstand.
»Mein Name ist Miersch, Konstantin Miersch. Ich bin Kriminaldirektor und hätte gern den Kollegen Queißer zu einem alten Fall gefragt.« Er sprach absichtlich lauter, denn er vermutete, dass Queißer längst hinter seiner Tür lauschte.
»Ä alten Fall. Dis muss ja schon Jahre her sein, der Queißer ist doch schon zwanzch Jahre nich mehr im Job.«
»Nun ja.« Miersch fielen keine plausiblen Gründe ein, die die Frau überzeugten.
»Na, dann klopfen Se ma.« Mit großen Schritten näherte sich Frau Marquardt der geschlossenen Tür und schlug mit der flachen Hand dagegen, zwischendurch drückte sie kurz auf die Klingel.
»Herr Queißer, Herr Queißer, ä Kolleche möchte Sie sprechen. Es geht um de Arbeet, der will Ihnen nischt offschwatzen tun.«
Tatsächlich hörte Miersch, wie ein Riegel zurückgeschoben wurde. Dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit, und ein Arm zog ihn in die Wohnung.
»Die Frau ist schrecklich, hat Augen und Ohren überall. Morgen wird sich das ganze Haus über Sie und Ihren Besuch bei mir das Maul zerreißen.«
Major Queißer war kleiner, als ihn Miersch sich vorgestellt hatte. Ein grauer Haarkranz umrahmte seine Glatze. Die Figur noch immer drahtig, auch wenn man ihm das Alter ansah. Queißers Augen musterten ihn skeptisch, und Miersch wusste nicht, wie er das Gespräch mit ein paar belanglosen Floskeln beginnen könnte. Er schwieg.
»Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?«, sagte Queißer. »Kollege hat Frau Marquardt geschrien. Ich könnte mich nicht dran erinnern, dass ich mit Ihnen zusammengearbeitet hätte, Herr …«
Der Major musterte ihn, so dass sich Miersch peinlich berührt fühlte.
»Mein Name ist Miersch, Konstantin Miersch. Ich bin Kriminaldirektor und hätte Sie gern in einem alten Fall konsultiert.«
Es waren fast genau dieselben Sätze, die er gerade zu Frau Marquardt gesagt hatte. Als müsste er sich verteidigen. Als fehlten ihm die Worte. Miersch fühlte leichten Schweiß auf der Stirn, dabei war ihm kalt. Im Hausflur hörte er die Marquardt zurück in ihre Wohnung schlurfen und ihre Tür verschließen.
Major Queißer lächelte und schaute ihn herausfordernd an. »Sie sind also der Miersch.« Er musterte ihn von oben bis unten und erwartete offensichtlich eine Erklärung.
Miersch streckte ihm seine Hand hin. Queißer schlug ein. Miersch fühlte eine Last von seinen Schultern genommen.
»Ja … Ich bin hier, weil mich einer Ihrer Fälle interessiert. Ich wollte mit Ihnen darüber sprechen, denn einiges erscheint mir da unklar …«
»Hat Kohlund Sie auch ins Archiv verbannt? Oder wollen Sie unsere Vergangenheit im Alleingang bewältigen?«
»Bitte?«
Major Queißer lachte herzlich und bat Miersch mit ausgestrecktem Arm in sein Wohnzimmer. »Die Schuhe können Sie an den Füßen lassen.«
Das Wohnzimmer war dunkel und überladen. Büfett und Schrank schienen Erbstücke von Queißers Großeltern. Die Sessel aus Leder erdrückten den filigranen Tisch, der zwischen ihnen stand. Darauf Zeitungen, Brille und Lupe. Ein Sudoku mit neun Quadraten war mit Ziffern gefüllt. Miersch hatte den Major beim Rätseln gestört.
»Nehmen Sie Platz.«
Miersch sank in einen der Sessel. Er war ihm zu tief. Queißer setzte sich auf einen der Essstühle und sah auf ihn herab. Clevere Taktik, stellte Miersch fest, eine, die schon Charly Chaplin als Großer Diktator angewandt hatte. Und Miersch hatte keine Chance der Gegenwehr. Der Major beugte sich zu ihm nach vorn, und Miersch kam sich vor, als würde er auf der Anklagebank sitzen und wich zurück.
»Der Augensammler. Mich interessiert der Fall des Augensammlers.« Es klang selbst in seinen eigenen Ohren gehetzt.
Queißer lächelte noch immer wie die Genossen auf den Feiertagsfotos.
»Mich interessiert der Augensammler.«
Queißer nickte, kratzte sich an der Stirn. »Der einzige Serientäter, den wir in meiner Amtszeit hatten.«
»Es ist auch danach keiner
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