Augenblick der Ewigkeit - Roman
über Sie gesprochen.«
» Ich hoffe nur Gutes! Mit wem habe ich denn die Ehre?«
» Entschuldigen Sie, Sir, daß ich mich nicht vorgestellt habe. Ich bin es, Joachim Thennbergen.«
Am anderen Ende der Leitung hörte er abermals jenes erstaunte » Oh– Sie sind das, mein Junge? Ich dachte, ich würde Sie in Monte Carlo beim Geburtstag Ihres Vaters sehen.«
Im ersten Stock hörte er ihre Schritte. Franziska hatte sich ihre Schuhe angezogen. » Wer ist denn dran?«
» Joseph Steinberg, aus London.«
Er hörte, wie sie die Treppe herunterrannte. Dann riß sie ihm den Hörer aus der Hand. » Wie schön, daß Du Dich endlich meldest, Yossele. Ich habe schon so sehr auf Deinen Anruf gewartet…«
Sie machte Joachim, der sich mit seinem Weinglas auf die Veranda verziehen wollte, ein Zeichen, er könne bleiben. Dann ließ sie sich in einen Sessel fallen.
Wien – im Sommer 1932
Schon einige Wochen nach ihrer erzwungenen Abreise aus Brünn hatte sie ihn zufällig in Wien getroffen. Nach seinem beachtlichen Debüt als Tamino in der Zauberflöte konnte er bei seinen Eltern durchsetzen, die Wiener Musikakademie zu besuchen, und hatte bei der renommierten Gesangspädagogin Elisabeth Radó mit dem Studium begonnen. Fanny Wertheimer war entzückt, als ihre Tochter Steinberg eines Abends in ihren Salon einführte und den angehenden Tenor als Erben eines Schokoladenfabrikanten in Preßburg vorstellte. Von da an war er gern gesehen im Hause des Bankiers, der mit allergrößter Hochachtung von der Kunst des Sängers schwärmte.
Von Steinberg erfuhr sie auch, was in Brünn geschehen war. Tag für Tag hatte sie in ihrem alten Postfach beim Wiener Hauptpostamt nachgeschaut, in der Hoffnung, einen Brief von Karl zu finden. Doch es blieb leer, und auch ihre » Olga-Silberschein-Briefe« an ihn kamen als unzustellbar zurück. Jetzt, nachdem sie wußte, mit welcher Kabale man ihn aus Brünn vertrieben hatte, durchforschte sie in der Nationalbibliothek die Feuilletons selbst der kleinsten Provinzzeitungen nach irgendeinem Hinweis auf ihn. Doch Karl blieb unauffindbar, wie vom Erdboden verschluckt, so daß sie schon befürchtete, er könnte nach Amerika oder Australien ausgewandert sein. Sie litt, weil er kein Lebenszeichen von sich gab, geradeso, wie es der Hofrat von ihm verlangt hatte. Konnte sie ihm deshalb böse sein? Es war doch ihre Schuld gewesen! Und immer wieder machte sie sich Vorwürfe, ihn durch ihren Leichtsinn in eine Situation gebracht zu haben, die seine Existenz zerstörte, sollte ihr Vater seine Drohungen wahrmachen. Das einzige, worauf sie hoffte, war sein Versprechen, sie, sobald Gras über die Angelegenheit gewachsen war, zu holen.
Unterdessen suchte sie Steinbergs Nähe, der sie über ihren Kummer hinwegtröstete. Steinberg war ein charmanter Begleiter, der sie mit seinem Witz zum Lachen brachte, wenn er die dünkelhafte Aufgeblasenheit von Fannys intellektuellen Salongästen imitierte, und Franziska lachte nur zu gerne. Bald sahen sie sich täglich. Entweder holte sie ihn nach seinen Gesangsstunden von der Musikakademie ab, oder er wartete auf sie vor dem Portal der Akademie der schönen Künste, in der sie ihr Architekturstudium wiederaufgenommen hatte. Sie verbrachten die Nachmittage im Kaffeehaus und gingen in die Oper, ins Konzert, manchmal auch ins Kino. Seine chaperonierende Gegenwart ermöglichte es ihr, sich auf elegante Weise der strengen Kontrolle ihres Elternhauses zu entziehen. Mies van der Rohe war inzwischen Direktor des Bauhauses geworden, und Lilly Reich hatte ihr angeboten, ihnen nach Dessau zu folgen. Sie war entschlossen, den Vorschlag anzunehmen und Wien, auch gegen den Willen ihres Vaters, zu verlassen. Sie war jung und unabhängig und auf sein Geld nicht angewiesen. Steinberg ermutigte sie dazu.
Manchmal ertappte sie sich sogar dabei, wie sie mit dem Gedanken spielte, mit ihm ein neues Leben zu beginnen– wenn sie Karl nur vergessen könnte, so wie er sie womöglich schon vergessen hatte.
Nach einiger Zeit spürte sie, wie Steinbergs Verhalten sich ihr gegenüber änderte, wie er, wenn sie mit ihm über ihre Zukunftspläne sprach, verstummte. Er suchte ihre Nähe und schien ihr zugleich aus dem Weg zu gehen. Einmal wies er sie schroff zurück, als sie ihn umarmen wollte, und in der Dunkelheit des Kinos überraschte sie ihn, wie er sie von der Seite musterte, als säße er neben einer Fremden. Von einem Tag zum anderen hörte er auf, sie zum Lachen zu bringen, und mied die Salonabende
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