Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
Luft genommen, als sie ihn dir zu zweit auf den Rücken gewuchtet haben. Aber die anderen Knechte haben jetzt auch Ballen auf dem Rücken und sehen aus, als ob sie gleich zusammenbrechen. Da sagst du besser nichts.
Nun bringen sie viele Mulis und Treiber, auch den Tieren werden Ballen aufgeladen.
Du bist nach wenigen Schritten schweißnass, obwohl es hier unten in der Schlucht kalt ist wie in einer Totengruft, und die Knie zittern dir. Und du musst dich sehr tief beugen unter deiner Last, sonst kannst du sie gar nicht halten. Und der Weg wird immer steiler.
Da schreien sie Halt!
Und du atmest auf und stellst dich hin und siehst dich nach einer flachen Stelle um, wo du deinen Ballen abstellen kannst. Aber alle lehnen ihre Last mit dem Rücken gegen die Felsen und stellen die Beine schief und du machst es ihnen nach.
Dann stellt sich der Schreiber vor euch auf, schwer zu verstehen, was er sagt - der Rhein macht einen furchtbaren Krach: Die Schlucht heißt Via Mala, brüllt der Schreiber. Das ist Rätisch oder Lateinisch - ist dir aber wurst - und heißt auf Deutsch: schlechter Weg.
Ja, sauschlecht ist dieser Weg, wirst du schon sehen. Der schlechteste Weg, den du jemals gegangen bist!
Aufpassen, heißt es also! Sind schon viele abgestürzt, kommt keiner mehr zurück, wird ins Tal gerissen und zu Brei zermalmt, und die Last mit.
Glaubst du gerne, so wie das Wasser tobt!
Und dann sagt der Schreiber noch etwas: Also, sich hüten vor dem Rhein und dem schmalen Felssteig! Aber sich noch mehr hüten, dass man nichts Dummes sagt.
Es gibt einen Mönch in einer braunen Kutte. Der spricht jetzt ein Gebet, kniet aber keiner nieder. Kommt nämlich keiner wieder hoch, wenn er hinkniet. Bloß der Mönch kniet und natürlich der Schreiber. Die tragen ja auch keinen Ballen.
Jetzt geht es erst richtig los, die Stelle, wo sie Halt gerufen haben, war die letzte flache. Jetzt geht es steil hinauf wie auf einer Leiter, nur nicht so angenehm, turmhoch und noch einmal turmhoch und wieder und wieder und wieder, und dann bist du noch längst nicht oben. Das Ende ist überhaupt nicht abzusehen, und deine Last auf dem Rücken wird mit jedem Schritt schwerer, dass du schier nach hinten kippst, und hinten drängen sie und wollen wie du wieder aus dem Scheiß heraus.
Du steigst durch die steile Schlucht hinauf, und ihre Felsen-wände schließen dich immer mehr ein. Und tief unter dir brüllt der Rhein, eine dahinschießende, wütende Wasserrinne, eigentlich ein Wasserfall, aber weit weg. Und der Himmel schaut nur noch durch einen schmalen Felsspalt herab auf dein Elend.
Der Steig ist glitschig. Ein Rutscher und du liegst unten.
Und da stolperst du, und dein Ballen zerdrückt dir Kreuz und Rippen, und du schnappst nach Luft und fängst an zu keuchen und fasst wieder Tritt, bis es dich wieder umhaut. Und du siehst, dass du keinen Fingerbreit vom Abgrund bist, und deine Knie knicken ein.
Und der Wasserstaub zwischen den grünen Felswänden macht dich nass bis auf die Haut.
Ein Jaulen und Heulen ist in der Luft: Die bösen Geister tanzen um die Felsen und ziehen die Menschen hinab. Aber das Heulen ist auch der Wind, der aus der Schlucht herauswill wie du -
Die Mulis sind hinter euch.
Wo ist der kostbare Ballen?, fragst du dich mitten im Tragen, als wenn es dich gerade jetzt etwas angeht. Aber so etwas gibt es.
Du überlegst, dass vielleicht ein Knecht den Ballen trägt. Weil nämlich der Knecht dem Kaufmann gehorcht, aber das Muli folgt dem Treiber und geht vielleicht dorthin, wohin der Kaufmann nicht will. Dem Schreiber, zum Beispiel, gehorcht ein Muli nicht. Also ist es besser, wenn ein Knecht den rätselhaften Ballen trägt.
Aber, denkst du weiter, es gibt auch Gründe, warum besser ein Muli den Ballen trägt: Ein Muli denkt nur an sein Fressen und nicht an das, was im Ballen ist.
Du weißt also nicht, wer den Ballen trägt. Aber du bist sicher, dass nicht du ihn auf dem Buckel hast, denn das, was sie auf dem Wagen versteckt hatten, war viel schwerer.
Es geht jetzt so steil bergauf, dass du kaum einen Fuß vor den anderen bringst, und du denkst, dass du ein Dach viel leichter erklimmen kannst als diese Via Mala.
Das Schlimmste ist, dass es nun auch noch anfängt, richtig zu regnen. Du bemerkst den Regen erst nach einiger Zeit, weil du sowieso klatschnass bist. Aber es ist auf einmal Regen und nicht mehr dieser Wasserstaub.
Obwohl du schwitzt, was das Zeug hält, frierst du, je höher du kommst. Und erschrocken siehst du auf
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