Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
die Lust auf die Ladung.
Denkst du. Täuschung, mein Lieber! Aber später.
An jeder Brücke wird geblecht, an jeder Furt. Es gibt Städte, da muss ein Teil der Ware auf dem Rathaus ausgelegt und angeboten werden. Und sie müssen Wachen und Diener bestechen und Räte, dass die das ganze Zeug wieder aus der Stadt lassen.
Und wer muss es von den Wagen wuchten und wieder hinaufstemmen? Na, wer wohl?
Zoll, Geleit, Bestechungen, und du fragst dich, ob sie bei dem ganzen Unternehmen Geld machen oder zusetzen, wenn sie dauernd ihre Silbermünzen rausrücken müssen und jeder nur die Hand aufhält -
Und eines Tages fragst du diesen Schreiber, ja, den, der so herumläuft, als hätte er die Nase mitten auf dem Kopf: Hast du nichts zu arbeiten?, heißt es.
Aber klar: Was nicht Geld scheißt, stellt kein Kaufmann in den Stall! Heißt natürlich: karrt er nicht nach Italien. Irgendwie scheffeln sie schon ihr Geld mit dem ganzen Zeug. Wetten!
Und sei doch froh: Meinst du, hinten kommt etwas Vernünftiges heraus - nämlich dein Lohn, wenn sie vorne nichts Rechtes hineinschieben? Ist doch bei allem so! Oder?
Fast eine Woche lang geht der Weg immer den Rhein aufwärts. Aber die Gäule können das gut ziehen, denn so richtig steile Buckel gibt es nicht, und so ein richtiges Sauwetter war auch nicht, und du freust dich schon, dass das immer so weitergeht. Und du meinst trotz allem Scheiß: Eigentlich ganz gemütlich so eine Reise nach Italien!
Aber das Unglück wandert schon vom ersten Tag an auf dich zu: die Berge!
Vor dieser Reise waren sie für dich nur der Ort, wo die Welt aufhört. Und du hast keinen einzigen Gedanken darauf gewendet, dass dort auch Menschen wohnen: in den Bergen und dahinter in Italien.
Italien!
Aber erst musst du hin! Und dazu musst du über das Gebirge, und das sieht jeden Tag gefährlicher aus. Es wächst langsam in die Wolken, wächst über die Wolken hinaus in den Himmel hinein. Und das Weiße sind Schutthänge aus Kies, dazwischen Felsen, höher als jeder Kirchturm.
Du beruhigst dich damit, dass die Straße ganz vernünftig unten in der Ebene bleibt, und der Rhein, denkst du, läuft schon irgendwo einfach so aus einer Felswand heraus, und irgendwie gibt es da bestimmt eine Lücke im Gebirge, wo ihr alle, heisa!, durchschlüpft auf die andere Seite nach Italien - aber Irrtum mein Lieber!
Du siehst Wasserfälle, die so hoch von Felswänden herunter-stürzen, dass das Wasser zu Staub wird und dich nass macht bis auf die Haut. Und du siehst am Fuß der Hänge Felsbrocken liegen, groß wie ganze Burgen, die sind oben abgebrochen -
Das Glänzende da droben, dort hinter der Wolke, die sich gerade davorschiebt? Du fragst einen der Knechte.
Schnee, du Dummkopf, siehst du doch.
Schnee, um des Himmels Einfall willen - wir haben August!
Fast September, also steh hier nicht herum. Da ist immer Schnee. Du kannst dein Maul wieder zumachen.
So nah an der Sonne - Schnee? Eis?
He, da oben ist es kalt, saukalt! Wirst du schon sehen. Wart nur, bis deine Hände blau sind wie Pflaumen und dir die Finger und die Füße abfallen wie faules Obst -
Im Sommer?
Erst viel später begreifst du: Das Schlimmste sind dennoch nicht die Berge, das Schlimmste sind die Menschen. Aber bis du das begriffen hast -
Du hörst, dass sie von den Bergen reden: Mit Mulis, sagen sie zu dir. Werden voll bepackt. Glaub aber ja nicht, dass du leer aus-gehst. Jeder muss tragen. Was glaubst du, warum sie dir so viel Geld geben. Wegen dem bisschen Weg nach Chur? Oder was?
Du verstehst kein Wort: Mulis? Halbesel? Wozu denn das?
Und kein Wort von der Fracht, dass das klar ist! Das hörst du jetzt jeden Tag: Kein Wort vom Ladegut!, wie sie das Zeug auch nennen.
Und du stehst da und hast das Maul offen: Was sollst du denn sagen? Wem sollst du denn?
Eben, niemandem. Geht keinen was an, was wir nach Italien bringen. Klar?
Was bringen wir denn? Leinwand, Pelze, Salz? Warum soll man da kein Wort?
Du bist zu dumm. Aber du wirst es schon noch sehen - kannst du Gift drauf nehmen!
Jetzt kommt sogar dieser Schreiber zu dir, den du nicht leiden kannst und der so eingebildet ist, dass er kaum einen Fuß auf den Boden bringt.
Es ist am Abend in der Herberge.
Natürlich nicht in der Herberge selbst, sondern im Stall, wo du neben den Pferden im Stroh liegst und gerade eingeschlafen bist - jeder Knochen tut dir weh; den ganzen Tag hast du die Wagen abstützen müssen, weil der Rhein, der neben uns hinabschießt, an der Straße nagt, dass
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